Khalil Gibran hat sehr tief gehende Worte geschrieben und sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nie mittelmäßig und alltäglich sind, sondern immer Sichtweisen einnehmen, die jenseits des Gewöhnlichen liegen und zum Anlass werden können, eigene Positionen zu überdenken. Das gilt z.B. für seine Aussage im Zusammenhang mit der Liebe:
Wenn ihr liebt, sollt ihr nicht sagen:
"Gott ist in meinem Herzen",
sondern:
"Ich bin im Herzen Gottes".
Da werden mit einem Schlag die menschlichen und göttlichen Dimensionen klar: Wie will ich Mensch mir anmaßen, Gott in meinem Herzen haben zu können! Wie soll das gehen, dass mein menschliches Herz das göttliche Sein umschließt?
Vergleichbares gilt für Auffassungen im Hinblick auf die Seele, dass diese sich im Körper lokalisieren lasse; man blickt nach innen und dort ist die Seele? Kann eine Seele mit ihren Adlerschwingen sich in einen Körper eingrenzen? Wo sie sich doch über die ganze Erde schwingt, womöglich über Galaxien?! Wie sonst sollte zum Beispiel eine Mutter auf einmal wissen, dass ihrem Kind fern der Heimat etwas widerfährt? Bestimmte Ebenen ihrer Seele sind bei ihm. -
Wir kennen entsprechende Zeugnisse.
Wir kennen entsprechende Zeugnisse.
Welche Ebenen ihrer Seele auch immer berührt werden: Sie ist bei ihrem Kind in dessen Unglück; tief in sich weiß darum jede Mutter; die eine nimmt es wahr, eine andere nicht.
Wir also sind im Herzen Gottes, wie unsere Seele nicht in uns, sondern wir in unserer Seele sind.
Man muss nicht zustimmen, aber es ist ein bemerkenswerter Gedanke allemal. Wir finden ihn auch bei anderen, z.B. auch in dem Buch der Theologen und Biologen Matthew Fox und Rupert Sheldrake Engel - die kosmische Intelligenz.
Nun lässt Khalil Gibran in "Von der Liebe" seinen Propheten al Mustafa über die Liebe sagen:
Sie siebt euch, um euch von eurer Spreu zu befreien.
Sie mahlt euch blütenweiß.
Sie knetet euch, bis ihr geschmeidig seid;
Und dann überantwortet sie euch ihrem heiligen Feuer, damit ihr heiliges Brot für Gottes heiliges Festmahl werdet.
All das wird die Liebe euch antun, damit ihr die Geheimnisse eures Herzens erkennt
und in diesem Erkennen zu einem Bruchteil vom Herzen des Lebens werdet.
Die Aussage des letzten Satzes tut einfach weh! Die Seele des Menschen ist kein Teil, schon gar kein Bruchteil der Weltseele. Der Mensch als Kind Gottes ist kein Bruchteil Gottes, auch kein Teil. Er ist nach dessen Bild geschaffen. Wie sollte Gott nach seinem Bild sich einen Teil, einen Bruchteil seiner selbst erschaffen?
Wenn wir die Geheimnisse unseres Herzens erkennen, werden wir nicht zu einem Bruchteil vom Herzen des Lebens. Ein schrecklicher Virus, den Khalil Gibran da in die Seele seiner Leser und Zuhörer eingibt. Ein Herz lässt sich nicht teilen. Solche und ähnliche Aussagen, wie z.B., dass man sein Herz verloren habe, sind ohnehin fatal und gleichfalls ein seelischer Virus. Das Herz des Lebens lässt sich nicht teilen, nicht aufteilen. Wenn ich Liebe lebe, bin ich Herz des Lebens. Und die Summe aller solcher Herzen ist nicht mehr und nicht weniger als auch: das Herz des Einen Lebens. Das Ganze ist keine Frage der Quantität oder mathematischer Operationen.
Das Herz des Lebens ist auch um ein Vielfaches immer das Herz des Lebens.
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