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Sonntag, 11. Juli 2010

"Wie nicht aus dem Reichtum die Tugend entsteht, sondern aus der Tugend der Reichtum"


Ist dieser Gedanke so ungewöhnlich für uns geworden, dass wir einen oder zwei oder drei Momente brauchen, um zu verstehen, was der griechische Philosoph Sokrates meinte?
Ja, angesichts unserer gesellschaftlichen Realität - und mit "unserer" meine ich die der reichen Industrienationen der Erde - kommt diese Aussage fast einem Koan gleich, jener Aufgabe, die der Schüler im Zen-Buddhismus von seinem Meister erhält und zu lösen hat.

Bezüglich der Werte des Sokrates, des geistigen Vorläufers von Jesus, sind wir als ach so gebildete Europäer und Erdenbürger Schüler geworden.

Man muss nur unsere tägliche Realität ansehen. Hören wir es nicht tagtäglich in den Nachrichten, dass es uns gut geht, wenn die wirtschaftlichen Indices nach oben zeigen? Wenn die Wirtschaft brummt, zeigen sich Nachrichtensprecher sichtlich aufgehellt, Börsenexperten wirken nahezu euphorisch und die Menschen zeigen sich in bester Laune, was mittlerweile immer zugleich auch Kauflaune meint; auch Politiker, soweit sie der Regierung angehören, hängen ihr Mäntelchen in den Börsen-Wirtschaftswind, das im Zuge steigender Kaufkraft lustig flattert ... Wenn die bunten Scheine wehen ...

Glück und Geldwert scheinen nahezu identisch geworden zu sein.

Da muss dieser verschrobene Grieche kommen und schon vor 2400 Jahren gesagt haben: Aus dem Reichtum entsteht keine Tugend!

Aus der Tugend entsteht Reichtum.

Reichtum meint ein Reich-Sein an Tugend.
Das scheinen wir mittlerweile besser zu wissen.
Schließlich ist es ja auch ewig lange, ca. 500 Jahre her, dass ein gewisser Martin Luther in der Auslegung des ersten Gebotes in seinem Großen Katechismus schrieb:

"Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott"

Wenn wir begutachten, womit sich die Medien vorzugsweise beschäftigen und was unser eigenes Denken ausmacht, dann kennen wir die Götter der Moderne; wir kennen auch die unseres Innern; in der Bibel werden sie als Goldenes Kalb bezeichnet.
Jener Tanz um das Goldene Kalb hat die Menschheit damals schon das Original der 10 Gebote gekostet, denn angesichts dessen, was sein Volk tat, während er ihnen Heiliges brachte, zerbrach Mose die Tafeln, auf denen die 10 Gebote standen.
Schon damals fehlte den Menschen jegliche Wertschätzung von Heiligem, Göttlichem.
Während Mose in Kommunikation mit dem Höchsten stand, tat sein Volk genau das Gegenteil.
Ob es heute anders wäre?
Ob, wenn das Göttliche sich auf diese besondere Weise wie damals auf der Erde zeigt, die Menschen den Blick von den Börsenkursen und Vergleichbarem wegwenden könnten auf das für ihre Seele Essentielle?

Bis heute haben wir nur eine Kopie der 10 Gebote.
Es scheint, als ob es vielleicht deshalb diesen nicht gelungen ist, in die tiefen Schichten des Bewusstseins der Menschen vorzudringen.
Wie hätte auf dieser Grundlage in der Folge das große Gebot der Liebe Beachtung finden können?

So schlimm ist es doch gar nicht, höre ich sagen, wir trauern mit den Harz-IV-Empfängern um das Elterngeld, wir leisten in aller Welt Entwicklungshilfe, wir erhöhen die Ausgabe für die Bildung ...

Die Frage ist, ob das aus Berechnung geschieht oder weil unser Herz möchte, dass es möglichst vielen Menschen gut gehe ...

Nur vereinzelt gibt es diese Wunder der Liebe, beispielsweise in dieser mutigen jungen Amerikanerin Withney Johnson, die in den Townships inmitten von mit Aids infizierten Kindern im Rahmen von Ubuntu Africa hilft, deren Körper und Seele zu heilen.

Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

Fast jeder weiß sich mit dem berühmten Satz von Saint-Exupéry zu schmücken, heftet sich an die Brust, dass er doch wisse, dass man wirklich nur mit dem Herzen gut sehe. Doch ist dieses Wissen, das der Fuchs dem Prinzen mitteilt, mehr als nur Poesiealbumschnickschnack - und anspruchsvoller, als die meisten wohl in Wirklichkeit wissen wollen.

Sehen wir uns an, was wir sehen, dann wissen wir, was wir im Herzen tragen und was wir in Wirklichkeit nur sehen können!

Dieser Satz - Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt -, den wir zu Beginn von Goethes Faust in der Szene Vorspiel auf dem Theater finden, ist der Schlüssel nicht nur zum Verständnis dieses Werkes, sondern auch zur Realität unseres Lebens.
Schauen wir an, was wir so tagtäglich sehen, im Außen wie im Innen; dann wissen wir über unsere Herzensrealität und unseren wahren Reichtum Bescheid.

Klar mag man die Aussage des großen Griechen, die er im Angesicht des nahen Todes sagte, für übertrieben halten. Aber angesichts unserer Herzens-Realität und jener, die wir bei anderen glauben beobachten zu können, sind die sokratischen Worte nur zu verständlich, dass ja eben dies das größte Gut für den Menschen ist, täglich über die Tugend sich zu unterhalten und über die andern Gegenstände, über welche ihr mich reden und mich selbst und andere prüfen hört, dass aber ein Leben ohne Selbsterforschung gar nicht verdient, gelebt zu werden.

Diese Orientierung auf wahre Werte, das ist es, was auch die Bibel meint mit jenem An-Spruch:

Betet ohne Unterlass.

Es ist damit kein frommes Gesülze gemeint, sondern eine geistige Ausrichtung, die den wahren Reichtum im eigenen Innern wissen will, ganz im Sinne von Bias von Priene, einem der sieben großen Weisen des Altertums:
omnia mea mecum porto

All meinen Besitz trage ich bei mir.

In diesem Sinne können wir sagen: All unseren Besitz tragen wir in uns.

Ein geistiges Herz lässt sich nicht transplantieren. Dafür sind allein wir verantwortlich.

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