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Freitag, 31. Dezember 2010

Berührende Herzkunst "Zum Neuen Jahr": Wie heimlicherweise / Ein Engelein leise / Die Erde betritt ...

Leser meiner Ethikpost wissen, dass ich Eduard Mörike, diesen Dichter einer stillen Frömmigkeit, verehre; wer seine Vita kennt, weiß, wie sehr dieser Mann über eine lange Zeit seines Lebens um seine Bestimmung kämpfte, eingeklemmt zwischen Mutter und Schwester und Brotberuf. 
Wie schwer muss es ihm, der eigentlich doch nur Dichter sein wollte, angekommen sein, Pfarrer sein zu müssen. Da mag man verzeihen, dass seine Gemeinde - freilich ohne dies zu wissen - die ein oder andere Predigt zu hören bekam, die er sich von einem Kollegen ausgeliehen hatte.
Dass vor allem in Baden-Württemberg sich manche Schule nach ihm nennt, ist deshalb sicherlich weniger auf seine Predigten zurückzuführen, als vielmehr auf eine dichterische Sprache, die Kinder und Erwachsene, auch die inneren Kinder von Erwachsenen, soweit sie das zulassen können, berührt. 
Lange Zeit galt Mörike vielen, auch vielen Germanisten als Vertreter einer typisch deutschen Biedermeierlichkeit. Heute hat man erkannt, dass sein Werk thematisch und künstlerisch viel weiter ausgreift.
Immer wieder findet in seinen Gedichten seine innige Frömmigkeit ihren Ausdruck. Hier finden wir von Herzen kommende Worte in einer schlichten Form, wie sie wahrem Hoffen und Glauben Heimat sein kann. 
Und sieht man genau hin, ist diese schlichte Form doch so kunstvoll.
Wie in diesem Gedicht Mörikes:


Zum Neuen Jahr
Wie heimlicherweise
Ein Engelein leise
Mit rosigen Füßen
Die Erde betritt,
So nahte der Morgen.
Jauchzt ihm, ihr Frommen,
Ein heilig Willkommen!
Ein heilig Willkommen,
Herz, jauchze du mit!

In ihm seis begonnen,
Der Monde und Sonnen
An blauen Gezelten
Des Himmels bewegt.
Du, Vater, du rate!
Lenke du und wende!
Herr, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende,
Sei alles gelegt!
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veröffentlicht auch in FreieWelt.net

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