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Donnerstag, 28. Mai 2009

Seelenlandschaften: Rainer Maria Rilkes "Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens ..."


Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe wie klein dort,
sieh: die letzte Ortschaft der Worte, und höher
aber wie klein auch noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du´s?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl
einiges auf: aus stummem Absturz
blüht ein unwissend Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewusstseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. - Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens ...


In der Lyrik gibt es kaum einen Satz, eine Wendung, die mich so anzieht, betrifft, die ich so selbst kenne wie Rainer Maria Rilkes Aussage, mit der sein Gedicht beginnt, und die sich zweimal wörtlich und einmal bezeichnend abgewandelt wiederholt: ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens ...

Wer dieses Gefühl kennt, findet, dass man es kaum besser erfassen kann; dort, wo Rilke steht, stehe ich, stehst manchmal vielleicht auch Du: hier auf den Bergen des Herzens ...

Ja, Rilke weiß es, es gibt im Herzen Berge.
Ja, auch das Herz hat Landschaften, hat Täler, Meere, Seen, Almen, Buchten, Klüfte, Abgründe, Bergspitzen, Tümpel, Moore, Felder, Wasserfälle ... Seelenlandschaften, verbunden mit Wahrnehmungen, mit Gefühlen;
gewiss sind auch das Gefühle: Verweigerung, Geborgenheit, Absturz, Flug.
Ja, auch das Herz hat Kräuter und Bäume;
auch das Herz hat Seelentiere, die uns unterstützen ...

Hier, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens gibt es nicht den Wissenden; hier gibt es den, der zu wissen begann. - Und wer zu wissen begann, schweigt.

Auch von den Liebenden weiß Rilke, dass sie besser um ihre Liebe schweigen, denn:

Sieh Dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens:
eine unvergessliche, nie zu vergessende Ortschaft der Worte.

Nur - was Rilke nicht sagt:
Selbstverständlich ist es nicht, im Weltinnenraum des eigenen Herzens zu sein.
Ausgesetzt: ja.
Ungeborgen: vielleicht.
Allein: nie.

mehr Rilke hier und hier

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