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Freitag, 25. März 2022

Die Welt des Internet: NETZ-NARZISSMUS

Du kennst vielleicht die tragische Geschichte des griechischen Jünglings Narziss, der zur Strafe für sein Verhalten von der Göttin Nemesis dazu verdonnert wurde, sich auf der spiegelnden Wasseroberfläche ständig selbst anzusehen; Ovid erzählt u.a. davon.

Die wahre Strafe aber besteht eigentlich darin, dass ein Narzisst die ganze Zeit sich selbst anschaut und gar kein Bewusstsein davon hat, dass er es tut. Er oder sie lieben das eigene Bild so sehr, dass sie gar nicht auf die Idee zu kommen scheinen, dass es noch andere schöne Dinge auf Mutter Erde gibt. Manche Narzissten ahnen allerdings auch, dass sie keinen Spiegel, keine spiegelnde Schaufensterscheibe auslassen, um sich zu sehen; der ein oder andere leidet gar darunter und spürt eine Zwanghaftigkeit …

Auf diesem Hintergrund ist interessant zu beobachten, wie Menschen im Netz mit sich selbst umgehen. Ich persönlich finde es schön, wenn ab und an eine Bild von jemandem, der einen Account hat, auftaucht. Wenn man jemanden inmitten von Blumen sieht und die Freude der Blumen sich förmlich in den Augen oder der Körperhaltung widerspiegelt: da vermittelt sich Freude am Menschsein. Unterwegs in den Bergen, inmitten der Kinder, beim Nähen an der Nähmaschine - es gibt Motive, da schaut man gern den Nächsten an.

Tatsächlich aber gibt es Netz-Seiten, da finden wir fast ausschließlich, ja ganz und gar ausschließlich ihn oder sie. Immer zeigt sich die Esoterik-Frau, immer wieder auch mit einem esoterisch ach so wertvollen Spruch garniert. Es gibt tatsächlich aber nichts anderes als sie. Oder er zeigt sich mit all seiner Facettenpracht, wobei auch interessant ist, welches Körperteil am häufigsten im Mittelpunkt steht.
Viele zeigen ihr Gesicht und gern wollen sie vermitteln, dass es ihr wahres Gedicht sei, manchmal mit dem Schwerpunkt bzw. narzisstischen Ablenkungstrick: Guck mal, auch so ist mein Gesicht.

Gerade bei einem Narzissten wird deutlich, wie sehr ein Mensch auf der Suche nach sich selbst sein kann. Narzissten erinnern an Don Juan, der von Bett zu Bett springt auf der Suche nach der Liebe - und sie doch auf diese Weise nicht findet. Nie findet.
Vergleichbar ist es mit dem Narzissten: er springt von Bild zu Bild seiner selbst, aber er findet sich nicht.
Wasser kann ein Freund des Menschen sein, wenn es ihn eintauchen lässt, untertauchen lässt, wenn er die Pracht der Unterwasserwelt oder auch, wie Schillers Taucher (https://bit.ly/36HsPNM), die schreckliche Seite in Form von Hyänen und Drachen und allem möglich Ungetier sehen muss, besser: sehen darf - und erkennt: auch das bin ich.
Narziss darf nicht ins Wasser eintauchen: er schaut immer nur sich. Die Narzisse mahnt, gerade weil sie so schön ist, an dieses große menschliche Leid.

Wir können dankbar für diesen Mythos sein. Er zeigt uns viel über den Menschen und uns. Und sei es, dass er dem ein oder anderen sagt: Du darfst Dich ruhig auch mal zeigen …
PS: Falls Dich mythologisch Genaueres interessiert: diese Seite finde ich informativ: https://bit.ly/3Ni04rB

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