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Sonntag, 29. Januar 2023

MORALISCHE GERÜCHE und GERÜCHE DER HEILIGKEIT

Jacques Lusseyrans „Das wiedergefundene Licht“ ist ein wahres Compendium, wenn es um die Spiritualität von Sinneseindrücken geht. Fast möchte man denken, nur ein Blinder könne so intensiv die Geistigkeit der Sinne wahrnehmen.

Gerade hatte er noch von dem, was das Tasten in seinem Inneren auslöste, erzählt, da wendet er sich in der Erinnerung an seine Jugend dem Geruchssinn zu und schreibt über jene Phase als Kind kurz nach seiner Erblindung:

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„Wie mit den Tastsinn verhielt es sich auch mit dem Geruch. Wie der Tastsinn war auch er offensichtlich ein Teil des liebenden Alls des Universums. Ich begann zu erraten, was Tiere empfinden müssen, wenn sie in die Luft schnuppern. Wie die Töne und Formen war auch der Geruch sehr viel ausgeprägter, als ich zuvor angenommen hatte. Es gab physische Gerüche, und es gab moralische Gerüche, doch von diesen – im Leben der Gesellschaft so wichtigen – will ich später reden (…) oh, alle Töne, alle Gerüche, alle Formen wandelten sich in mir unaufhörlich in Licht, das Licht wurde zu Farben und machte meine Blindheit zu einem Kaleidoskop.“

Das Thema der Gerüche greift er wieder auf, als er von der Schule erzählt:
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„Ich langweilte mich im Gymnasium, langweilte mich fast ohne Unterbrechung (…) War einmal die Klassentüre geschlossen, stieg mir der Geruch des Raumes in den Kopf. Nicht, dass einer meiner Klassenkameraden schlecht gepflegt gewesen wäre, doch jeder von ihnen besaß einen Körper, und vierzig Körper in einem so kleinen Raum – das war zuviel. Man hätte sich am Rand eines stehenden Sumpfwassers glauben können. Wie kam das?
Ich erwähnte bereits, dass es für einen Blinden so etwas wie moralische Gerüche gibt, und ich glaube wohl, dies war hier der Fall. Ist eine Gruppe von Menschen gezwungen – oder gesellschaftlich verpflichtet, was aufs selbe herauskommt –, sich in einem Raum aufzuhalten, so wird sie alsbald einen schlechten Geruch entfalten. Man möge das wörtlich auffassen. Bei Kindern vollzieht sich dieser Prozess noch schneller. Man denke nur an die ganze Masse unterdrückten Ärgers, gedemütigten Unabhängigkeitsdrangs, zurückgehaltener Vagabundierlust und ohnmächtiger Wissbegierde, die vierzig Buben zwischen zehn und vierzehn Jahren ansammeln können!
Hier war also die Quelle des unliebsamen Geruchs und des Dunstes, mit denen die Klasse für mich physisch angefüllt war. Was ich sah, war trübe, die Farben wurden fade, ja schmutzig. Die Tafel war schwarz, der Fußboden war schwarz, die Tische waren schwarz, die Bücher waren schwarz. Selbst der Lehrer, der im Licht stand, war nicht mehr als grau. Er hätte sich doch abheben müssen, nicht allein durch sein Wissen (Wissen enthielt damals für mich wenig Licht), sondern auch durch seine Person.
Langeweile band und knebelte alle meine Sinne. Selbst die Töne verloren im Unterricht an Umfang und Tiefe, wurden kraftlos.“

Es ist schon zu lange her, dass ich dieses wunderbare Buch gelesen habe, in dessen Mittelpunkt vor allem Jacqes Lusseyrans Zeit im französischen Widerstand steht, in der er als Mitglied einer Widerstandsgruppe u.a. die Aufgabe übernommen hatte, Menschen, die aufgenommen werden wollten, aufgrund seines besonderen Wahrnehmungsvermögens zu überprüfen. Deshalb weiß ich es nicht mehr genau, aber ich glaube, von Gerüchen der Heiligkeit hat er nie gesprochen. Es ist mir aber unvergessen, dass ich von ihnen in Michael Murphys „Der Quantenmensch. Ein Blick in die Entfaltung des menschlichen Potentials im 21. Jahrhundert“ las. Dort heißt es:
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„Seit den ersten Jahrhunderten der Geschichte des Christentums wurde behauptet, dass die Körper einiger Märtyrer und Heiliger einen außergewöhnlichen Geruch ausströmen. Es heißt, dass der heilige Polikarp, der im Jahr 155 den Märtyrertod starb, der heilige Simeon Stylites, ein Säulenheiliger des 5. Jahrhunderts, und der heilige Guthlac, ein angelsächsischer Einsiedler, so wie andere bemerkenswerte Persönlichkeiten des frühen Christentums die Luft mit lieblichen Düften und zu Zeiten ganze Gebäude mit dem Geruch von Weihrauch erfüllten. Die heilige Theresia von Avila, die vielen religiösen Behauptungen gegenüber kritisch eingestellt war, war überzeugt, dass eine heilige Lebensführung den Geruch der Heiligkeit hervorbringen könnte. In ihrem „Buch der Klosterstiftungen“ schilderte sie eine berühmte spanische Asketin, Catalina von Cardona. Sie schrieb, dass
„von ihr ein überaus durchdringender Wohlgeruch, ähnlich dem Geruch der Reliquien, ausgegangen sei. Nachdem sie ihren Habit und Gürtel abgelegt hatte – man schenkte ihr nämlich einen anderen Habit und Gürtel –, strömten selbst diese abgelegten Kleidungsstücke einen (wunderbaren) Wohlgeruch aus, so dass die Schwestern veranlasst wurden, unseren Herrn zu lobpreisen. Je näher man ihr kam, desto durchdringer war dieser Geruch, während doch ihre Kleider, zumal bei der damaligen großen Hitze, eher eine gegenteilige Wirkung hätten hervorbringen sollen.
Es werden in der Folge noch das ein oder andere Beispiel und Nonnen erwähnt, bei denen man diese Gerüche der Heiligkeit wahrnahm. „In neuerer Zeit wurde von Pater Pio erzählt, dass er um Menschen herum, die ihn gesehen oder berührt hatten, geheimnisvolle Wohlgerüche hervorrief.“

Herbert Thurston (1856-1939), ein englicher Priester und Jesuit, der in seinen Artikeln zu obigen Phänomenen eine eher skeptische Haltung einnahm, schrieb:
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„Gewiss mag manches in dieser oder jener Schilderung durch die glühende Phantasie des Erzählers übertrieben worden sein, denn starke Gefühle schwingen in diesen Beschreibungen mit. Aber die Übereinstimmung unter Zeugnissen, die örtlich und zeitlich so weit auseinanderliegen, ist höchst bemerkenswert, und nicht zuletzt kommt dazu die Gleichgestimmtheit von Zeugnissen sehr ähnlicher Art aus den letzten Jahrhunderten. Das lässt sich nicht übersehen…, erhält aber noch eine gewisse Bestätigung von einer ganz anderen Seite her; ich denke an das Auftreten ähnlicher Phänomene bei spiritistischen Sitzungen.“
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Ich persönlich halte ein Phänomen wie Gerüche der Heiligkeit für realistisch, allein schon deshalb, weil es auch genügend Menschen gibt, die ganz gegenteilige Gerüche verbreiten.
Wenn allerdings Thurston auf vergleichbare Phänomene bei spiritistischen Sitzungen hinweist, dann ist für mich das auf dem Hintergrund der Tatsache, dass ich spiritistischen Sitzungen - Rilke war ja bekanntlich ein Fan von ihnen, was ihm gewiss nicht gutgetan hat - absolut ablehnend gegenüberstehe, weil man nie weiß, welches seelische Wesen am anderen Ende ist (auch wenn es einen Namen kundtut) und man durchaus seelisch sehr Unangenehmes auf diesem Weg einfangen kann, - dann ist das also deshalb interessant, weil es gewiss auch pseudoheilige Düfte gibt, Düfte also, die verschleiern, dass in Wahrheit ganz anderes transportiert wird.
Ich bringe deshalb solchen Berichten eine gewisse Skepsis entgegen und halte es für sehr sinnvoll, sie erst einmal auf den Prüfstand zu stellen.

PS Meine Ablehnung spiritistischer Sitzungen bezieht sich nicht unbedingt auf mediale Trancesitzungen. Allerdings enstpricht Trance - Ausnahmen mögen die Regel bestätigen - nicht mehr einem Bewusstseinszustand, der spirituell aufgeschlossene Menschen in unserer Zeit wirklich vorwärtsbringt, ganz davon abgesehen, dass ich Channelings auf Medien wie You Tube zu annähernd 100 Prozent für frei erfunden halte.

PPS Diesem Post ging auf Facebook ein Beitrag zu dieser Thematik voraus, den ich hier für Inteessierte veröffentliche: https://bit.ly/3ReaDyi

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