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Sonntag, 14. März 2010

Wer verträgt die ganze Wahrheit über sich? - Die Wahrheit ist: NIEMAND!

Es ist schon eine Weile her, dass ich für viele Jahre regelmäßig nach Paris zu meinem Freund Bernard fuhr, einem ehemals exzellenten Balletttänzer und Körpertherapeuten. Von ihm habe ich viel über den menschlichen Körper gelernt und mein Körper hat viel gelernt. Bernard sah die Menschen an und wusste über sie Bescheid. Er verstand die Sprache des Körpers zu hören, zu lesen und hat mit Hilfe eines von ihm wieder entwickelten Verfahrens, das ursprünglich aus dem alten Ägypten stammt, Stück für Stück den Menschen, die mit ihm arbeiteten, Puzzleteile ihrer körperlichen Freiheit zurückgegeben. – Und damit auch ihrer seelischen.

Eines Tages hat er mir erklärt, dass es gar nicht möglich sei, alle Verspannungen des Körpers auf einmal zu lösen; kein Mensch könne das aushalten, er würde von der frei gesetzten Energie überflutet werden.

Damals war mir das ein völlig neuer Gedanke und ich habe nicht so recht verstehen können, was er meinte, wenn er davon sprach, dass er in den Sitzungen gewaltigen Energien ausgesetzt sei, wenn sie sich freisetzten; oft werden Menschen bekanntlich versteckt oder offen aggressiv, wenn etwas in ihnen zu Tage tritt, was sie nicht sehen wollen oder nur widerwillig ansehen können.

Heute möchte ich sagen: Jeder Mensch würde, wenn seine Energie in Gänze freigesetzt würde, von dieser entfesselten Energie zerissen werden. Wir ahnen nicht, wie viel von ihr in Verspannungen des Körpers und Verwerfungn der Seele gebunden ist. In diesen Bindungen steckt zugleich eine tiefe Weisheit und ein notwendiger Schutz.

Wer seine Seele und seinen Körper der Freiheit und Weisheit öffnen darf und kann, ist zudem zutiefst gefährdet. Denn er muss die zunehmende Offenheit des Körpers und der Seele schützen. Wird er doch immer empfindsamer.

Der Wahnsinn Nietzsches und Hölderlins beispielsweise und der frühe Tod vieler sensibler Künstler hängen damit zusammen, dass es damals kaum jemand gab, der ihnen helfen konnte; auch heute noch muss man das Glück haben, auf einen guten Therapeuten und/oder einen Menschen zu treffen, der nicht wertet, sondern hört, sieht, versteht, weil er vieles selbst erlebt hat; nicht umsonst war der Schmetterling in Griechenland Symbol der Seele; kaum etwas ist so verletzbar und zugleich schützenswert.

Niemand wird einen Steinway-Flügel auf eine Verkehrsinsel stellen, den wunderbaren Körper eines Balletttänzers wird niemand in einen Boxring beordern. Beides, beide würden zugrunde gehen.

So ist es mit der zarten Seele, sie sich von ihren Hornhäuten und Krebszellen befreien darf.


Wer sich jedoch zu Wahrheit und Weisheit, unendlicher Intuition und Gefühl Zugang verschafft und nicht reif dafür ist, geht zugrunde.

Das ist der Grund, warum so vielen Drogenopfern nicht zu helfen ist. Wer seine Seele mittels Drogen öffnet, erlebt zwar bisweilen ungeahnte Trips, aber er ist auch ungeahnt offen für dunkle Energien, die ihn überfluten. Kaum ein Therapeut wird ihm helfen können.

Deshalb sind viele Abhängige so gravierend abhängig; es ist nicht nur die körperliche Abhängigkeit …

Märchen haben dieser Tatsache bildhaften Ausdruck verliehen.

Wer sich das Sesam öffne Dich ergaunert, muss schlimmstenfalls sterben. Mit Ali Babas Bruder geschieht das und auch das Grimm-Märchen Simeliberg erzählt davon. Die Tür zum Berg ist die Tür zum eigenen Inneren; man muss wissen, wie man hineinkommt, damit man auch wieder heil hinauskommt, wenn es angesagt ist. Wenn man aber den Zugang findet - und bisweilen geschieht das zunächst über Träume - findet man wie Heinrich in Novalis´ Heinrich von Ofterdingen die Blaue Blume, zusammen mit dem Gral eines der höchsten Menschheitssymbole.

Im Grunde geschieht im Nibelungen-Lied Vergleichbares. König Gunther aus Worms erobert mit Hilfe Siegfrieds eine Frau, Brünhilde aus Isenstein, der er nicht gewachsen ist.

Aus der Eddha wissen wir, dass es in Wahrheit Siegfrieds eigene Frau ist, eine Walküre, die er für Gunther erobert. Nur Siegfried selbst ist ihrer Energie wirklich gewachsen. Doch er erkennt sie aufgrund eines ihm durch seine zukünftige Schwiegermutter verabreichten Vergessenstranks nicht mehr.

Diesen Hintergrund verschweigt das deutsche Nibelungenlied. Das Blutbad auf der Etzelburg und der Tod Siegfrieds sowie der Burgunden, das ganze Gemetzel des Schlusses also ist eine Folge der Tatsache, dass Gunther sich auf hinterhältige Weise, mit Hilfe der Tarnkappe Siegfrieds und dessen Kraft, Zugang zu einer Energie in Gestalt Brünhildes verschafft, die für ihn um ein vielfaches zu groß ist.

Wie die Schalen einer Zwiebel müssen Ring für Ring die Türen geöffnet werden, die den Menschen seiner inneren Wahrheit und Größe näher bringen. Wer das nicht berücksichtigt, muss die Konsequenzen tragen. Friedrich Schiller hat in seiner Ballade Das verschleierte Bild zu Sais dieser Tatsache ein literarisches Denkmal gesetzt.

Wer noch glaubt, im Unbewussten seiner Seele würden nur ein paar harmlose Fischchen herumschwimmen, keine Haie, Rochen und anderes Ungetier, sollte Schillers Taucher aufmerksam lesen, denn was der Knappe sieht, sind im Grunde die Seelentiefen eines jeden Menschen. Es ist das Verdienst von Hieronymus Bosch, diese Welt ins Bild gesetzt zu haben.

Zwei Seelen wohnen - und Goethe weiß, warum er hier ein "ach" einfügt - in unserer Brust ...

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