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Samstag, 8. Mai 2010

Was weise klingt, kann waise sein. - Zum Muttertag: Annette von Droste Hülshoffs Lied an ihre Mutter.


So gern hätt ich ein schönes Lied gemacht
Von Deiner Liebe, deiner treuen Weise;
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt ich so gern geweckt zu deinem Preise.

Doch wie ich auch gesonnen, mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen
Des Herzens Fluten wallten darüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
Von einfach ungeschmücktem Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin:
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.

 

                                                                                                 Annette von Droste-Hülsfhoff (1797-1848)

Zum Ausdruck kommt, dass die Liebe Annettes zu ihrer Mutter eher ein Ringen um Liebe war, ein Fühlen voller Suchen und Sehnen. Wohl würde sie gerne in der letzten Strophe selbst glauben wollen, sie hätte viel zu sagen "Von deiner Liebe, deiner treuen Weise". Doch wie das Metrum in der dritten Zeile der zweiten Strophe nicht von ungefähr holpert, so holperte auch in der Lebensrealität diese Liebe; genau genommen spricht die Dichterin sogar von Zerstörung.

Wenn sie viel sagen würde, wäre es womöglich ein Sprechen über eine nie gelebte Liebe.
 

Vielleicht hat sich die große Dichterin nie einen realistischen Blick auf die Mutter erlaubt. Im Sich-Finden der Worte im Prozess des Dichtens aus dem Unbewussten heraus zeigt sich die Wahrheit.

Was weise klingt, kann womöglich waise sein.


Dennoch wissen wir: eine Mutterbindung ist immer da, weil nur ein Mutter jene Liebe geben kann, die doch jeder Mensch so ersehnt. Und tief im Inneren mag jedes Kind wissen, dass manche Mutter eben auch nur so lieben kann, wie sie selbst geliebt worden ist.

Annette von Droste-Hülfshoffs Mutter, jene selbstbewusste, in der Familie auch den Vater dominierende Frau, hat zwar erste Verschen von ihrer Tochter gesammelt, tat aber sonst nichts dafür, dass deren Anlagen zur Entfaltung kamen. Annette fand sich später ein in die Rolle einer Reisebegleiterin der Mutter, die, als sich aus der Freundschaft ihrer Tochter zu Sibylle Mertens Ansätze zur Selbständigkeit und Befreiung von der Bevormundung durch die Familie – "freiwillig" erduldete Annette die Zensur ihrer literarischen Werke durch den Bruder – ergeben wollten, die Reise der beiden Frauen nach Italien kurzerhand verbot. Italien, da hätte eine von Grund auf veränderte Frau zurückkommen können; die Mutter mag wohl gewusst haben, wie Goethe durch Italien verändert worden war. - Nichts da!

Die Dichterin blieb der Mutter gegenüber die gehorsame Tochter, pietätvoll und ergeben; in Wirklichkeit öffnete sie sich ihr wohl kaum; wie jedes Kind hätte sie es sicherlich gern getan. In ihrer Kindheit tat sie das ihrer Amme gegenüber, die oft tagelang ihre einzige Ansprache war zusammen mit dem Hülshoffer Hauskaplan Willemsen, und bei ihrer Schwester Jenny.

Vor allem Natur wurde ihr in ihrem Leben zur Mutter; diese erweckte sie so zum Leben, gerade auch in ihrer Dichtung, wie eine Mutter lebendig sein kann: Ihre Mutter, das war die Heimat Westfalen, das Münsterland, dessen Heiden, Moore, Gewässer und Wälder. Dort - und später am Bodensee, in Meersburg (bevor sie ihr selbst erworbenes Fürstenhäusle beziehen konnte, starb sie) - suchte sie jene Geborgenheit, die ein Mensch dringend braucht, wissend, wo ihre Seele Ruhe findet:



Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen, die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend mit gebrochnen Knieen.
Und - horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch -

Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.



Zu dieser Mutter, zu Mutter Erde kehrt sie zurück.

Bisweilen/oft/manchmal ist Mutterliebe im Leben der Menschen eine Fata Morgana oder eine Andeutung lebensvoller Möglichkeit; vielleicht auch deshalb ist in Wirklichkeit für einzelne oder viele oder manche Menschen der Muttertag schmerzvoll - ohne dass sie es sich wirklich eingestehen.


Gut, wenn sie es irgendwann tun können.


Mehr über und von Annette von Droste Hülshoff hier und hier

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