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Sonntag, 16. September 2018

Rilke: "Für junge Menschen ist Christus eine große Gefahr "... vielleicht ist mir "eine Art Priestertum (..) aufgetragen" ...

Im letzten, unten zitierten Abschnitt schreibt Rilke über junge Menschen:
Sie gewöhnen sich daran, mit den Maßen des Menschlichen Göttliches zu suchen. Sie verwöhnen sich am Menschlichen und erfrieren später in der herben Hochluft der Ewigkeit.
Mir ist schon immer aufgefallen, dass viele Menschen Gott mit ihrem eigenen Inneren verwechseln; sind sie streng, so ist ihr Gott auch streng, sind sie nicht in der Lage, konsequent zu sein, so liebt ihr Gott mit der größten Selbstverständlichkeit alle Menschen, was immer sie tun. - Immer muss Gott für das eigene Innere herhalten. Und ganz selbstverständlich ist, dass Gott denkt, wie Menschen denken. - Erstaunlich ist jedenfalls, was Rilke in den folgenden Auszügen Gott wie selbstverständlich unterstellt.

Ich halte dafür, dass Rilke in eben zitiertem Satz über sich selbst geschrieben hat. Zu oft, wenn er über Gott schreibt, holt er ihn fast verzweifelt auf die Ebene des Menschlichen- Allzumenschlichen. Das kann man machen, aber als Verfahren, mehr über ihn zu erfahren, taugt genau dieses Vorgehen meines Erachtens nicht. Man schreibt über sich selbst, mehr nicht.

Die folgenden Zeilen und Auszüge (zitiert nach philos-website.de) scheinen mir zu belegen, dass Rilke hier keine Ausnahme macht. Sein Verdikt über Christus zeigt sich auch in seinen Gedichten über die Jesus-Gestalt, die er mit Christus ohne jegliche Differenzierung in einen Topf wirft; offensichtlich hatte er mit ihr und Christus - die Christus-Visionen sprechen da eine deutliche Sprache - ein gravierendes Problem, was deshalb bedauerlich ist, weil gerade durch die Trinität, so plakativ sie auch immer durch die Kirchen vermittelt werden mag, deutlich wird, dass das Christentum einen Gott hat, der sich in all seiner Göttlichkeit entwickelt, weil er einen Sohn hat, ein Umstand, der per se Entwicklung bedeutet; und auch Letzterer gibt sich weiter, indem er auf einen Heiligen Geist verweist, den es vielleicht nur gibt, weil es Menschen gibt.

Also: einen den Menschen  zugewandteren Gott kann es kaum geben als den christlichen. Allerdings: zu glauben, man kenne ihn auch nur ein bisschen, ist für mich echt ein Irrtum. Ihm aber gar den Sohn zu diffamieren, das halte ich für faustisch überzogen; das ist Hybris pur (mit einem irdischen Vater würde man so über dessen Sohn vermutlich nicht sprechen, aber mit Gott ist das erlaubt). Kein Wunder, dass Rilke Gott gleichsam auch zu seinem Kumpel macht (Du Nachbar Gott ...)

Nicht, dass ich mir erlaube, über Rilke ein Urteil zu fällen (als junger Mann hat er auch das Recht, sich auszuprobieren und muss es offensichtlich auch), aber man sollte um sein Ringen wissen, das immer wieder auch, wie ich finde, Züge von Überheblichkeit trägt und er immer wieder meint, die Elle seines Bewusstseins an Gott anlegen zu können, wenn er wie selbstverständlich davon ausgeht, Gott denke in seinen Begrifflichkeiten und wenn er beispielsweise glaubt, er, Rilke, sei für Gott dunkel:

Aus dem Worpsweder Tagebuch: 4. Oktober 1900
Gebet
.
Ich sprach von Dir als von dem sehr Verwandten,
zu dem mein Leben hundert Wege weiß,
ich nannte Dich: den alle Kinder kannten,
den alle Saiten überspannten,
für den ich dunkel bin und leis.

Ich nannte Dich den Nächsten meiner Nächte
und meiner Abende Verschwiegenheit, —
und Du bist der, den keiner sich erdächte,
wärst Du nicht ausgedacht seit Ewigkeit.
Und Du bist der, in dem ich nicht geirrt,
den ich betrat wie ein gewohntes Haus.
Jetzt geht Dein Wachsen über mich hinaus:
Du bist der Werdendste, der wird.

» (...) Manchmal, früher, glaubte ich: im Wind ist er, aber meistens empfand ich ihn nicht als einheitliche Persönlichkeit. Ich kannte nur Stücke von Gott. Und manch einer seiner Teile war schrecklich. Denn auch der Tod war nur seines Wesens ein Teil. Und er erschien mir sehr ungerecht. Er duldete Unsägliches, ließ Grausamkeit und Gram zu und war gleichgültig groß. Und daß es viele Wunder gibt und daß viele, gute und mächtige, an mir geschahen, änderte nichts daran. Auch fehlte mir die intellektuelle Fähigkeit, alle Wunder, die so verschieden im Wirken und weit voneinander entfernt sich vollzogen, zusammenzufassen in einem Willenspunkt, und ich hätte auch keinen Namen für diese Einheit gewußt, da >Gott< mir nichts bedeutete. Gleichwohl würde ich gern an eine Persönlichkeit glauben, um die alle Kreise sich ründen, einen Berg von Macht, vor dem alle Menschen und alle Länder aller Menschen offen liegen. . . « Und später: »Nein, mir ist dieses alles doch fremd, mir ist Gott überhaupt >sie<, die Natur. Die Bringende, die das Leben hat und schenkt. . . «

Ich aber sprach leise von ihm. Daß seine Mängel, seine Ungerechtigkeit und alles Unzulängliche seiner Macht in seiner Entwicklung läge. Daß er nicht vollendet sei. » Wann sollte er auch geworden sein? Der Mensch bedurfte seiner so dringend, daß er ihn gleich von Anfang als Seienden empfand und sah. Fertig brauchte ihn der Mensch, und er sagte: Gott ist. Jetzt muß er sein Werden nachholen. Und wir sind, die ihm dazu helfen. Mit uns wird er, mit unseren Freuden wächst er, und unsere Traurigkeiten begründen die Schatten in seinem Angesicht. Wir können nichts tun, was wir nicht an ihm tun, wenn wir uns erst gefunden haben. Und Sie dürfen ihn nicht über der Menge denken. Er hat nicht die Menge gemeint, er wollte von vielen Einzelnen getragen sein. In der Menge ist jeder so klein, daß er nicht Hand anlegen kann an den Bau Gottes. Der Einzelne aber, der ihm gegenübertritt, schaut in sein Angesicht und ragt sicher bis zu seiner Schulter auf. Und ist mächtig an ihm. Und ist wichtig für Gott. Und dieses ist mein bester Lebensmut: daß ich groß sein muß, um seiner Größe wohlzutun, daß ich einfach sein muß, um ihn nicht zu verwirren, und daß mein Ernst irgendwo zu seinem Ernstsein stößt ... Aber wie ich das alles ausspreche, fühle ich, dass ich nicht einfach auf ihn zulebe, eben weil ich von ihm rede. Die zu ihm beten, reden nicht von ihm. Vielleicht bin ich mehr als nur Beter. Vielleicht ist eine Art Priestertum mir aufgetragen, vielleicht ist es mir bestimmt, manchmal, den anderen entfremdet, auf einen Menschen zuzutreten, feierlich, wie aus goldenen Türen. Doch dann werden mich immer nur solche sehen, die bei goldenen Türen wohnen.«

»Für junge Menschen (sagte ich in anderem Zusammenhange) ist Christus eine große Gefahr, der Allzunahe, der Verdecker Gottes. Sie gewöhnen sich daran, mit den Maßen des Menschlichen Göttliches zu suchen. Sie verwöhnen sich am Menschlichen und erfrieren später in der herben Hochluft der Ewigkeit. Sie irren zwischen Christus, den Marien und den Heiligen umher: sie verlieren sich unter Gestalten und Stimmen. Sie enttäuschen sich an dem Halbverwandten, das sie nicht erstaunt, nicht erschreckt, nicht aus dem Alltag reißt. Sie bescheiden sich und müßten unbescheiden sein, um Gott zu haben.«


Aus: Rainer Maria Rilke, Tagebücher der Frühzeit

Gott zu  haben - wie soll das aussehen?

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