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Montag, 11. August 2008

Die magische Formel: Es war einmal ...

Mit horchenden Herzen – so formuliert es Heinrich Heine – sind wir einst dagesessen oder schon im Bettchen gelegen und haben gelauscht, als uns Vater, Mutter oder Geschwister, vielleicht auch Oma oder Opa ein Märchen vorlasen, tief im Inneren die hoffende Ahnung, dass am Schluss, wenn sie nicht gestorben sind, doch die Märchenhelden noch leben.

Es war einmal das sind nicht einfach drei Worte … das ist wie eine hell glimmende Glut in uns, ein Bewusstsein, ein Wissen um etwas …

Wir verbinden damit die Märchen der Gebrüder Grimm: Frau Holle, Hänsel und Gretel, Die Bremer Stadtmusikanten, Simeliberg, Dornröschen, Schneeweißchen und Rosenrot, Aschenputtel, Schneewittchen, Hans im Glück, Die 7 Schwäne. Der Wolf und die 7 Geißlein, Rapunzel ...

Nur: Wer lässt uns heute seine Haare herunter, um zu jenem Wissen zu gelangen? Wie gelangen wir in das Innere des Simeliberges?

Es war einmal Damals gab es einen glücklichen König und eine glückliche Königin, es gab einen liebenden Vater und eine liebende Mutter, das Glück wohnte unter den Menschen und in ihnen.

Es war jene Zeit, welche die griechische Mythologie das Goldene Zeitalter nennt. Die Menschen lebten ohne Kampf, Krampf, Krankheit und Arbeit. Die Erde gewährte ihnen alles, was sie zum Leben bedurften in Hülle und Fülle. Gesetze gab es nicht, denn es gab keine Verbrechen; Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, lebte unter den Menschen. Mit den Menschen zusammen bewohnten die Tiere das Land und die Meere, aus den Bäumen floss Honig; sanft und voller Liebe lebten wir im Einklang mit allem, was ist.

Im griechischen Schöpfungsmythos war es die Zeit des Gottes Kronos. Kronos bedeutet Zeit. Es war der Beginn unserer Zeit.

Es war einmal …

Diesen Zustand meinen die Märchen, wenn es oft zu Beginn heißt:

Es waren einmal ein König und eine Königin, und sie hatten beide einander sehr lieb …

Ein Zauber, ein Zauber kindlicher Magie liegt in diesem Anfang, deshalb konnte Hermann Hesse in "Stufen" schreiben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Unsere Seelen wissen von diesem Beginn.
Unsere Seelen waren dabei.
Unsere deutsche Sprache lässt daran keinen Zweifel:

Er-inner-ung: Der Kern dieses Substantivs besteht aus dem Wörtchen innen.

ung ist bekanntlich die Endsilbe vieler Hauptwörter und das Präfix Er bedeutet so viel wie: auf dem Weg sein, sich etwas zu eigen machen.

Wir finden es in er-leben. er-kunden, er-fahren, er-mutigen, er-innern.

Erinnerung, der Weg nach innen, ist der Zugang zu unserem inneren Schatz, deshalb gibt es die Märchen wie Simeliberg und Ali Baba und die 40 Räuber.

Sie enthalten zugleich die Warnung, sich nicht unrechtmäßig oder vor der Zeit Zugang verschaffen zu wollen, z.B. durch Drogen. Wer das tut, muss scheitern. Die Räuber sind zugleich die Hüter des Schatzes.

Was ich hier schreibe, ist Menschheitswissen, das sich immer wieder zum Ausdruck bringt.

Wir erkennen es im Symbol der Blauen Blume, die Heinrich von Ofterdingen nicht von ungefähr tief in einem Berg findet; wir finden es verborgen im Inneren des Gesetzes in Kafkas Türhüterlegende oder in jenem berühmten Blütenstaub-Fragment von Novalis:

Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht.- Nach Innen geht der ge­heimnisvolle Weg. In uns oder nir­gends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten ins Lichtreich. Jetzt scheint es uns freilich inner­lich so dunkel, einsam, gestaltlos, aber wie ganz an­ders wird es uns dün­ken, wenn diese Verfinsterung vorbei und der Schattenkörper hinweggerückt ist. Wir werden mehr genießen als je, denn un­ser Geist hat entbehrt.


In uns also liegt jenes Es war einmal …

Deshalb berührt uns dieser Märchenanfang so. Er erinnert an jene Zeit, als alles gut war.

Darum ist es so wichtig, dass Kindern Märchen erzählt werden. Sie wissen dann und werden daran erinnert:

Es gibt einen Zustand in uns, unsere wahre Heimat, dort ist alles gut. - Und es wird auch alles wieder gut.

Nun sind wir unterwegs.


Wilhelm Busch weiß davon:


Wie kam ich nur aus jenem Frieden
ins Weltgetös?
Was einst vereint, hat sich geschieden,
und das ist bös.

Nun bin ich nicht geneigt zum Geben.
Nun heißt es: Nimm!
Ja, ich muss töten, um zu leben.
Und das ist schlimm.

Doch eine Sehnsucht blieb zurücke,
die niemals ruht.
Sie zieht mich heim zum alten Glücke.
Und das ist gut.

Nur: Warum sind wir überhaupt aufgebrochen?
Und ein ´altes Glück´, wie Wilhelm Busch es formuliert, wird es auch nicht wieder geben können - in den Märchen sind Anfangs- und Endzustand nie identisch.

Es verändert sich viel auf unserem Weg ...

Ist es so, wie T.S.Eliot schreibt?
In Four Quartets heißt es:

Und am Ende all unserer Forschung werden wir da ankommen,
wo wir angefangen haben,
und wir werden den Ort zum ersten Mal erkennen ...