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Montag, 18. August 2008

... "und ob ich schon wanderte im finsteren Tal" ... Was David, Parzival, Nietzsche und Hans im Glück gemeinsam ist!

Wie finden wir zu jenem neuen Glück, von dem am Ende des letzten Post die Rede war? Den oben Genannten gemeinsam ist: Sie sind auf dem Weg unterwegs zu ihm.

Doch muss der Held unbedingt durch ein finsteres Tal, um zu ihm zu gelangen?
Ich nehme den gedanklichen Faden aus dem letzten Post auf.

David, den kindlichen Kämpfer gegen Goliath, nun großer König Israels, finden wir, als er obige Worte spricht, in seinem Kampf gegen den eigenen Sohn Absalom, der ihn vom Thron stürzen will. Als König muss er kämpfen, als Vater weint sein Herz.

Welche Zuversicht spricht dennoch aus Davids Worten! Bis heute sind es unendlich wirksame Trostworte und ich bin meinem Religionslehrer, einem Pfarrer, dankbar, dass er uns damals in der Sexta diesen Psalm 23 auswendig lernen ließ:
Der Herr ist mein Hirte / mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue / und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele, / er führet mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, / fürchte ich kein Unglück,
denn Du bist bei mir / dein Stecken und Stab trösten mich. […]
In der ganzen Auseinandersetzung - schrecklich wird sein Sohn sterben - verliert David nie den Glauben an seinen Gott. Zuversichtlicher kann ein Psalm nicht enden, als dieser, der mit den Worten ausklingt:
Und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Aus dem Hause des Herrn verstoßen: So kam sich Parzival lange Zeit vor und doch hätte niemand mit mehr Berechtigung und aus eigener Erfahrung wissender über jenes Tal berichten können, denn sein Name bedeutet: Durchdringe das Tal!

Wie so viele Helden ist auch er Sohn einer Witwe; sein Vater war schon, als er noch im Mutterleib war, im Kampf fern der Heimat gefallen.
Er verlässt sein Zuhause, seine Mutter, weil er Ritter in ihrer glänzenden Rüstung für Gott hält und auch Ritter werden möchte. Recht schnell findet er den Ort seiner Bestimmung, die Gralsburg. Aber er sieht nicht mit dem Herzen, was er hätte tun sollen: den todkranken Gralskönig Anfortas zu erlösen - er stellt jene berühmte Mitleidsfrage nicht, die jenen von allem Leid befreit und ihn selbst zum neuen Gralskönig, zum König des Herzens gemacht hätte. 


Am nächsten Morgen ist die Burg wie ausgestorben. Nachdem er sie verlassen hat, dämmert ihm, was er verpasst hat. Über viele Jahre und mit zunehmendem Zweifel, ob er sein Ziel jemals erreicht, sucht er die Gralsburg; doch sie ist wie vom Erdboden verschluckt. Irgendwann gibt sein Verstand auf, Parzival überlässt seinem Pferd die Führung; im mittelhochdeutschen Original heißt es:

nu genc nâch der gotes kür.
[Es gehe nun, wie Gott es will.]

Friedrich Nietzsches Gegenüber, sein alter ego, ist in seinem Gedicht VEREINSAMT dagegen ohne jeden Trost:
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein. -
Wohl dem, der jetzt noch - Heimat hat!

Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt - entflohn?

Dieser Mann bereut zutiefst, in die Welt geflohen zu sein, das Schicksal des Menschseins auf sich genommen zu haben.
Die Welt - ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends halt.

Er spricht nicht an, was er verloren hat, doch wir wissen: Verloren hat er jenes Es war einmal, jenes behütete Zuhause, von dem wir sprachen, das dem Märchenhelden zueigen ist, bevor er aufbricht. Es heißt bei Nietzsche weiter:
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.

Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton! -
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!

Wenn ich diese Zeile lese, muss ich an die Worte Franz Kafkas denken, der sich darüber Gedanken machte, was ein Buch bewirken soll, und in diesem Zusammenhang einen tiefstmöglichen Einblick in sein Inneres gewährt, wenn er sagt:
Ein Buch muss eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns.
Ein erschütterndes Bild. Das Innere des Menschen: ein riesiger Eiszapfen.
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
- Bald wird es schnein,
Weh dem, der keine Heimat hat!

Nietzsche hat sich aus dieser Heimatlosigkeit in den Wahnsinn geflüchtet; die letzten zehn Jahre seines Leben war dieser große Philosoph geistig umnachtet.

Jedem der Drei geht es anders, jeder geht mit seinem Leben anders um: Der eine, Nietzsches lyrisches Ich, hadert grundsätzlich mit dem Menschsein, der andere, David, hat Vertrauen ins Leben, das für ihn identisch mit Gott, mit seiner geistigen Heimat ist.

Der Dritte ist auf der Suche und kurz davor, den Mut zu verlieren: Parzival - dessen Name, aus dem französischen Perceval abgeleitet, wie bereits erwähnt bedeutet: Durchdringe das Tal! – spricht seine Worte an einem Karfreitag, und an jenem Tag geschieht auch das Wunder: Er findet den, der ihn zum Gral weist, einen Einsiedler, Trevrizent, ohne dass er es weiß, ein Verwandter von ihm.

Wenn wir uns umschauen, finden wir Menschen, die alle einen völlig unterschiedlichen Umgang mit diesem Wert Leben pflegen. Manche zelebrieren ihr Leben vor dem Fernseher auf dem Sofa und schimpfen ansonsten über die ständig steigende Mehrwertsteuer, die steigenden Benzinpreise und die zunehmende Gewalt auf der Erde; manche jagen zielsicher in den Herzinfarkt, manche dümpeln auf einer Hochseeyacht die Zeit tot, manche werden depressiv, manche sind glücklich, manche sind im Tal und die Berge sind so hoch, dass kein Sonnenlicht hineinzuscheinen scheint.

Das Tal eine Wüste, ein gefrorenes Meer, das Leben ein einziger Winter …

Wo soll das enden?




Das Märchen von Hans im Glück weist uns den Weg, obwohl Hans eigentlich ein Loser, ein Verlierer, ein Narr par excellence war.



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