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Dienstag, 22. Dezember 2009

Weihnachten ist innere Zeit und unser innerer Raum - wenn wir ihn betreten.


Weihnachten ist eine Zeit. Eine historische und eine aktuelle.
Vor allem aber ist Weihnachten ein Raum:
Ein Raum in uns.
Wer nach Weihnachten will, muss diesen Raum betreten.
Er liegt nicht im Nirgendwo.
Nach innen geht der Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, weiß Novalis in seinen Blütenstaub-Fragmenten. Damit bestätigt er nur, was auch Goethe sieht - Im Innern ist ein Universum auch - und Angelus Silesius so formuliert:
Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir: / Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
Dieser gesuchte Ort ist der Ort der Erinnerung, deshalb dieses Wort: Er-inne-rung.
Wer diesen Weg der Erinnerung nicht geht, bleibt immer außen vor der eigenen Türe. Davon erzählt die Türhüterlegende Franz Kafkas auf selten eindrucksvolle Weise. Kafka, der sein Werk per testamentarischer Bestimmung weitgehend vernichtet sehen wollte, hat diese Erzählung geliebt - das heißt bei einem, der sich selbst am kritischsten gegenüberstand sehr viel - und er hat sie sehr gern seinen Freunden vorgelesen. Nicht zufällig ist sie das inhaltliche Zentrum seines Romans Der Prozess, dessen Titel so bezeichnend ist, denn wir entscheiden wie Josef K. im Roman selbst, ob uns der Prozess gemacht wird oder ob wir unser Leben als Prozess gestalten. Dieser Prozess ist unser Weg nach innen, ins eigene Innere.
Deshalb auch war den Griechen die Muse Mnemosyne so wichtig. Diese Muse, eine von sieben - übersetzt bedeutet sieErinnerung - weist darauf hin, dass es ohne diesen Weg keine menschliche Kultur gibt, auch keine Kultur des eigenen Inneren - schlimmer noch:
Wer ihn nicht geht, ist, wie wir gleich sehen werden, kinderlos. Er verliert die Freude am Kind, ja: Er verliert die Freude am eigenen Sein; das ist identisch. Denn diese Freude findet er nur in sich und für diese Freude gibt es ein wunderschönes Bild, das äußere Realität war und innere Realtität ist: Es ist das Kind in der Krippe.
Damals wie heute, außen und innen: Realität.
Von inneren Hirten und inneren Königen
Diese Realität hat so viel mit uns zu tun, wie wir sie zulassen.
Das Geschehen in der Bibel ist immer auf vielfachen Ebenen symbolisch. Das betrifft auch die Weihnachtsgeschichte. Denn alles, was hier vorkommt, sind Gestalten unserer Seele:
Wir benötigen die Fähigkeit zu staunen und andächtig zu sein wie die Hirten, um des Kindes gewahr zu werden. Hirten können den Mund halten, stille sein, staunen.
Staunen ist die Grundvoraussetzung für das Wahrnehmen des Göttlichen.
Wir benötigen den Respekt und die Wert-Schätzung der Könige, die eben auch Könige unseres inneren Reiches sind; sie bringen Geschenke.
In gewohnter Manier rafft der moderne Mensch alles zusammen, was er bekommen kann; er will immer haben, haben, haben. Es ist, als ob er immer einatmen will, nie ausatmen.
Das geht nicht; daran stirbt man.
Zumindest seelisch.
Aber die Kraft des Göttlichen wird in uns zu innerer Wirklichkeit durch den Dank, den wir ihm entgegenbringen, durch unser Geben, unser Ausatmen. Das wissen die Magier wohl, die Weisen des Morgenlandes: Ohne sie gibt es für unsere Seele kein Weihnachten, wie es uns die Bibel vor Augen stellt. Die Energie des Göttlichen verwirklicht sich durch das, was wir ihm bringen. Es ist das Wertvollste, was es gibt: unser Gold, unseren Weihrauch und unsere Myrrhe.
Wer glaubt, er muss nur das Maul aufsperren und das Göttliche träufelt Nektar hinein, hat sich getäuscht. Die Heiligen Drei Könige zeigen uns: So ist es nicht. Zeig Du dem Göttlichen, dass Du es wertschätzt.
Märchengestalten sind Wirklichkeit pur
Und wir benötigen - auch dies lehrt uns die Weihnachtsgeschichte - Vater und Mutter. Vater und Mutter oder der gute König und die gute Königin manifestieren in vielen Märchen - in jener Zauberzeit des Es war einmal - jenen Urzustand unseres Seins; auch er ist ein Bewusstseinszustand. Der Tod oder Krankheit beider Elterngestalten oder eines von beiden symbolisiert im Märchen den Verlust dieses ursprünglichen Bewusstseins; der Märchenheld geht auf die Reise, oft, um diesen alten Bewusstseinszustand wieder herzustellen. Was er aber finden wird, ist ein neues Glück.
Auf dieser Reise sind wir alle.
Deshalb ist es von Bedeutung, dass es einen Vater und eine Mutter gibt - und wenn es sie nicht gibt, dann ist es wichtig, dass uns dieses Fehlen bewusst wird. Dann kann Mythisches an deren Stelle treten. Mythisches heilt. Deshalb sind Märchen so heilsam.
Probiere es aus, wenn Du verzweifelt bist: Lies eines der großen Grimm-Märchen. Mehr nicht. Lies einfach. Wie ein Kind.
Du wirst staunen.
Herodes lebt
Der historische Herodes ließ nach dem Matthäusevangelium alle zweijährigen und jüngeren Kinder in Bethlehem und an seinen Grenzen umbringen. So ist die Energie des Herodes zum schrecklichen Symbol für die Ausrottung des Kindlichen geworden.
Aktuell sind die Herodeskräfte so stark wie selten zuvor; kein Zufall, dass die Freude an Kindern und die Zahl der geborenen Kinder seit vielen Jahren abnimmt. Es ist die Folge dieser Kräfte; sie äußern sich in kinderunfreundlichen politischen Konstellationen und in fehlender innerer Freude der Menschen an Kindern und am Kindsein. Beide Tatbestände werden oft als Ursache hingestellt; das sind sie nicht. Sie sind Auswirkungen eines Verlustes; auch die Macht des Herodes ist eine Folge des Verlustes eines ursprünglichen Bewusstseins.
So rot wie Blut, so weiß wie Schnee
Das Sehnen von menschen,d ie sich lieben, nach einem Kind, so rot wie Blut, so weiß wei Schnee, ist unstillbar. Auf Dauer wird es nicht auszurotten sein.
Immer ist dieses Kindsein, von dem wir gerade sprachen, mit dem eigenen Inneren verbunden.
Wir kennen Menschen, in denen ihre inneren Kinder leben - unser inneres Kind hat viele seelische Gestaltungen -; desgleichen kennen wir Menschen, die wie tot sind und wir leiden als Eltern mit unseren Kindern unter manchem Lehrer, der in Wahrheit Kinder nicht versteht, weil seine inneren nicht leben.
Die Schergen des Herodes
In solchen Menschen leistet Herodes noch heute ganze Arbeit und in der Gesellschaft grassieren seine Schergen in den unterschiedlichsten Gestalten, verkappt auch als Einstellungen. Eine davon ist, die innere Realität der Seele nicht im Außen wahrnehmen zu wollen, zu können.
Die Schergen des Herodes zerschlagen jedes Symbol und alle heiligen Gestalten, im Außen genauso wie im Inneren.
Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis
Vielleicht ist es der bedeutendste Satz dieser Jahrtausendgestalt Goethe, den wir am Ende seines Faust, einem Werk, an dem er annähernd 60 Jahre gearbeitet hat, finden.
Wer die Gleichnishaftigkeit des Lebens nicht wahrnimmt, wer nicht wahrnimmt, dass es einen Vater im Außen wie im Innen gibt, eine Mutter, ein Kind, Hirten und Könige, ist auf einem Auge blind. Mit einem verbleibenden Auge aber kann man nicht räumlich sehen; man findet den Raum Weihnachten nicht.
Das Allerheiligste
Die Intuition von Kindern lässt sich diesen Raum nicht nehmen. Und in dem Leuchten ihrer Augen nehmen wir wieder teil an dem, was vielen von uns im Lebenskampf verloren gegangen ist: dieses Vertrauen in jenes Kind, das da in Bethlehem geboren wurde
Nichts weniger ist es als das Allerheiligste unseres Innern. Von hier aus werden wir wirklich berührt.
Um den Cherubinischen Wandersmann des Angelus Silesius sprechen zu lassen:
Wird Christus tausendmal in Bethlehem geborn / und nicht in dir; du bleibst noch ewiglich verlorn.

Ich wünsche allen meinen Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Diesen Post habe ich ebenfalls auf FreieWelt.net veröffentlicht

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