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Samstag, 28. Februar 2015

Welch ein vermessenes Tun, im Fleische das Fleisch zu versenken. - Pythagoras jedenfalls war Vegetarier!

Im 15. Buch von Ovids Metamorphosen findet sich, was wir uns durchaus in Erinnerung rufen können:

Pytagoras warnte davor, Tiere zu verspeisen! Und immerhin hatte er sein Wissen aus der göttlichen Ebene!
Im Grunde ist seine Aussage klar: Wer Tiere verspeist, ist ein Tier, denn Tiere nur sättigen sich mit Fleisch! Und selbst von ihnen nicht alle!
Wer Fleisch ist, befleckt seine Lippen mit Blut.
Im Goldenen Zeitalter, als die Göttin des Friedens noch unter den Menschen wandelte, lebten sogar die Fische sicher in ihren Gewässern.

Der Auszug beginnt mit dem Hinweis, dass Pythagoras seine Heimat Samos wegen des Tyrannen Polykrates verlassen musste und freiwillig ihr fernblieb, denn er hasste Tyrannengewalt:

In der Stadt, die liegt an Italiens Ende,
Wohnte ein Mann aus Samos, aber von Samos
War er geflohn vor dem Herrn und blieb freiwillig im Banne,
Hassend Tyrannengewalt. Der stieg, ob fern von dem Himmel,
Doch zu den Göttern im Geist und ersah, was ewige Ordnung
Menschlichen Blicken entzog, mit dem Auge der denkenden Seele.
Dann, wie er alles erspäht mit Gedanken und wachender Sorge,
Trug er es vor im versammelten Kreis, und den schweigende Schülern,
Die zuhörten dem Wort mit Verwunderung, lehrt' er des Weltalls
Uranfang und der Ding' Ursachen, und was die Natur sei,
Auch was Gott, von wannen der Schnee, wie Blitz sich erzeuge,
Ob in zerteiltem Gewölk Sturmwind, ob Jupiter donnre,
Was aufschüttre das Land, nach welchem Gesetz die Gestirne
Wandeln, und was sonst dunkel verbleibt. Er rügte die Sitte
Tiere zu speisen zuerst und erschloß zu folgender Rede
Weisheit kündenden Mund, der nicht auch Glauben gefunden:

»Laßt, ihr Sterblichen, ab durch frevlige Speise die Leiber
Euch zu entweihn. Feldfrucht ja ist und die tragenden Äste
Abwärts ziehendes Obst und am Weinstock schwellende Trauben,
Zarte Gewächs' auch sind und andere, welche das Feuer
Mild kann machen und weich; und wird euch nimmer benommen
Labende Milch, noch Seim nach Thymian duftenden Honigs.
Gaben in Fülle beschert die verschwendende Erde zu milder
Nahrung und beut euch Kost, die Blut nicht heischet und Tötung.


Tiere nur sättigen sich mit Fleisch, doch alle mitnichten;
Denn Gras nähret das Roß und das wollige Vieh und die Rinder;
Denen jedoch inwohnt unbändiges Wesen und Wildheit,
Löwen, die zornige Brut, armenische Tiger, mit Bären
Gieriger Wölfe Geschlecht, die freuen sich blutigen Fraßes.
Welch ein vermessenes Tun, im Fleische das Fleisch zu versenken
Und den begehrliche Leib mit verschlungenem Leibe zu mästen
Und mit des Lebenden Tod ein Lebender sich zu erhalten!
Bei so reichlichem Gut, das die Erde, die beste der Mütter,
Zeuget, behagt dir nichts als traurige Stücke zu kauen
Mit unseligem Zahn und zu tun nach Art der Zyklopen?
Weißt du nimmer die Gier des gefräßigen Bauches zu stillen,
Der zum Schlimmen gewöhnt, als wenn du vernichtest den Andern?

Jene verwichene Zeit, die golden wir pflegen zu nennen,
War mit Baumesertrag und dem Boden entsprossenen Pflanzen
Reichlich beglückt und befleckte noch nicht mit Blute die Lippen.
Damals schlugen die Luft mit sicheren Schwingen die Vögel;
Furchtlos irrt' umher im freien Gefilde der Hase;
Nie auch hängte den Fisch leichtgläubiger Wahn an die Angel.
Ohn' auflauernden Trug und nichts argwöhnend von Tücke
War voll Frieden die Welt.

Donnerstag, 26. Februar 2015

Dem Baum kannst Du alles erzählen!

Ein echtes Baum-Ohr :-)
Gesehen auf der Lindesmühlenpromenade Bad Kissingens, einem Park entlang der Saale.




















Heute war eine wunderschöne Atmosphäre in Wald und Flur


und fast wäre ich noch zum Wittelsbach-Turm; aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben :-)


Montag, 23. Februar 2015

In Deutschland ist niemand so armutsbedroht wie Kinder.

Eigentlich erübrigt sich da jedes weitere Wort.

Das interessiert niemand!

Der Bericht des Paritätischen Wohfahrtsverbandes über Armut in Deutschland von letzter Woche ist schon wieder Schnee von gestern.
Hat jemand eine einzige Reaktion eines Politikers darauf gelesen?

Vor Weihnachten gab es auf Panorama einen Bericht zur Kinderarmut in Deutschland:

http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Kein-Konzept-gegen-Kinderarmut,kinderarmut192.html

Klar, vor Weihnachten kommen solche Berichte an. Wer will davon etwas wissen, wenn es Richtung Frühling geht.

Betroffen hat mich dennoch die Sequenz über jene Frau gemacht, die ausgebildete Altenpflegerin ist, aber dennoch als armutsbedroht gilt und in einer schimmeligen Wohnung lebt, meist mit geschenkten Möbeln ausgestattet von ihrer ca. 10-jährigen Tochter Geld aus deren Sparkasse Geld kriegt, wenn es mal wieder knapp wird.

Sie gilt ja nicht mal als arm. Dass sie keinen Zweitjob annimmt. liegt daran, dass sie dann noch weniger Zeit für ihre Tochter hat.

Und unsere Wirtschaft brummt, der Ölpreis ist niedrig wie nie zuvor. Wir haben Geld in Mengen.

Nur nicht für die, die es bräuchten!

Wie kalt muss es in deutschen Herzen zugehen!

Sonntag, 22. Februar 2015

Ein heiliger Ort in Bad Kissingen:

Wie gestern angekündigt bin ich heute zur Himmelswiese, dem Ort, wo eines Stillgeborenen, wenn die Eltern es wollen, gedacht wird. Er war gar nicht so leicht zu finden. Fast etwas unscheinbar liegt die Stätte der Sternenkinder zu Beginn eines Weges. Wenn man aber an dem Ort steht, entfaltet er sich immer mehr.


Eine kleine Reihe hinter dem Stein sieht man, wo einiger weniger Sternenkinder gedacht wird, aber jedes Stillgeborene für sich rührt; zwei sind mit Namen benannt; einem ist dieses Herz gewidmet:


Das Mal des Gedenkens rührt auch. Nach Aussage des Bildhauers Reinhard Kraft will der Stein als Sternenschale die Tränen sammeln, der schwere Sockel soll Halt geben.  Und das Mobile aus Engelsflügeln soll Mut machen.

Mir kam es vor wie eine Libelle, wie der Seelenkörper eines Stillgeborenen, der sagen will: Mach Dir keine Sorgen, ich schwebe über allem. Zum Licht.


Samstag, 21. Februar 2015

Eine Himmelswiese für Sternenkinder

Seltsam, was ich heute erlebte:

Seit ich eingezogen bin, hängt ein Stern an der Heizung im Flur, der mir irgendwie gefiel, den ich aber nie in die Hand nahm - irgendwie muss ihn der Vormieter hängengelassen haben; vor zwei, drei Wochen fiel er sogar runter; und da er sich ziemlich versteckte, blieb er da eine Weile. Im Hinterkopf hatte ich immer, dass ich ihn entsorge, denn ich mag keine Sachen von einem Vormieter, den ich nicht kenne, übernehmen, auch wenn es ein Stern ist.

Heute hab ich Großputz gemacht und ihn in die Hand genommen. Irgendwie gefiel er mir wieder sehr.
Dann muss da auch ein Zettel den Einzug überlebt haben, den ich auf die Seite gelegt hatte; auch er muss vom Vormieter sein, ein kleiner Flyer, der ganz anmutig aussah; deshalb blieb er wohl auch vor einem Mülleimerschicksal verschont.
Heute wollte ich ihn endgültig recyceln und nahm in auch zu diesem Zweck in die Hand. Da entdeckte ich, dass er zum Stern gehört.
Ich weiß nicht, wie beides in die Wohnung gekommen war, vielleicht war es eine Postwurfsendung für alle Haushalte, vielleicht hat der Vormieter es unterwegs in die Hand gedrückt bekommen und einfach beim Auszug liegen lassen.

Mit Hilfe des Flyers wird um Spenden für ein Projekt gebeten, dass 2014 wohl in die Tat umgesetzt worden ist: ein kleiner Friedhof für Kinder, die stillgeboren worden sind, die zur Welt kamen und nie lebten. Ein kleines Areal wohl auf dem Parkfriedhof in Bad Kissingen.
Natürlich habe ich im Internet recherchiert. Da findet sich auch ein Artikel aus der MainPost.
Morgen gehe ich auf den Parkfriedhof.

Wie viel Trauer und Leid sicherlich hinter all diesen Schicksalen steht. Immerhin, so habe ich gelesen, kommt dieses Stillgeborensein allein im Elisabeth-Krankenhaus Bad Kissingens 60-80mal pro Jahr vor, eine Zahl, die ich mir ehrlich gesagt, nicht vorstellen kann; ich vermute, dass der Zeitung da ein Druckfehler unterlaufen ist. Entscheidend aber ist, wie liebevoll das alles auf mich wirkt, das Engagement der Initiatoren und überhaupt die Tatsache, dass heute so würdevoll mit den Sternenkindern, wie sie auch genannt werden, umgegangen wird - das war nicht immer so.

Jedenfalls hat mich das alles doch sehr berührt und der Stern bleibt nun da:



Einen Tag später war ich auf der Himmelswiese: hier

Donnerstag, 19. Februar 2015

Arme: Loser ohne Lobby!

Ihr Pech: Kein Politiker weiß, wie sich Arm-Sein anfühlt. Und die meisten interessiert es auch nicht!

12,5 Millionen Menschen im reichen Deutschland sind arm.
19,1 Prozent der Jugendlichen sind arm.


Gut, dass es den Paritätischen Wohlfahrtsverband gibt, sonst hätten Arme bei uns keine Stimme. Vielleicht wird aufgrund des Armutsberichtes durch diese Institution der ein oder andere Linke oder Grüne sich bemüßigt fühlen müssen, ein paar Worte zum Thema zu verlieren, vielleicht auch der ein oder andere Kirchenvertreter. Ich persönlich kann darauf verzichten, weil sich die Politik dadurch nicht im Geringsten ändert. Im Gegenteil: Tatenlos sehen die Parteien einer offensichtlichen Verschärfung der Armutssituation zu.

Die wichtigsten Fakten des Berichts:

1: Die Armut in Deutschland hat mit einer Armutsquote von 15,5 Prozent ein neues Rekordhoch erreicht und umfasst rund 12,5 Millionen Menschen. (12,5 Millionen)

. . .

4: Die regionale Zerrissenheit in Deutschland hat sich im Vergleich der letzten Jahre verschärft. Betrug der Abstand zwischen der am wenigsten und der am meisten von Armut betroffenen Region 2006 noch 17,8 Prozentpunkte, sind es 2013 bereits 24,8 Prozentpunkte.

5: Als neue Problemregion könnte sich neben dem Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen auch der Großraum Köln/Düsseldorf entpuppen, in dem mehr als fünf Millionen Menschen leben, und in dem die Armut seit 2006 um 31 Prozent auf mittlerweile deutlich überdurchschnittliche 16,8 Prozent zugenommen hat.

6: Erwerbslose und Alleinerziehende sind die hervorstechenden Risikogruppen, wenn es um Armut geht. Über 40 Prozent der Alleinerziehenden und fast 60 Prozent der Erwerbslosen in Deutschland sind arm. Und zwar mit einer seit 2006 ansteigenden Tendenz.

7: Die Kinderarmut bleibt in Deutschland weiterhin auf sehr hohem Niveau. Die Armutsquote der Minderjährigen ist von 2012 auf 2013 gleich um 0,7 Prozentpunkte auf 19,2 Prozent gestiegen und bekleidet damit den höchsten Wert seit 2006. 

. . .

8: Bedrohlich zugenommen hat in den letzten Jahren die Altersarmut, insbesondere unter Rentnerinnen und Rentnern.


Der Kongress in Brüssel tanzt - Menschen in Deutschland darben!



wer weiterlesen möchte: hier

Dienstag, 10. Februar 2015

Wir träumten voneinander und sind davon erwacht . . .

Friedrich Hebbel (1813-1863) hat Gedichte über Liebe geschrieben, die in ihrer Art einmalig sind und für mich eine große spirituelle Tiefe aufweisen.

Das folgende Gedicht deutet das, was man als Schwesternseele oder als Dualseele bezeichnet nur an, dennoch ist Hebbels Wissen darum offensichtlich, wenn es vielleicht auch "nur" intuitiver Natur war. 
In der dritten Strophe geht Hebbel auf eine Ebene, die deutlich macht, dass hier zwei ihre Einheit finden, dort, wo ihre Heimat ist; dafür steht der Grund, ihr Urgrund. 
Die Lilie deutet die Reinheit dieses Geschehens an und der Kelch dessen Heiligkeit:

Ich und du

Wir träumten von einander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.




Link zu meinem Webinar zu diesem Thema hier
mehr zu diesem Thema auch hier

Freitag, 6. Februar 2015

Hölderlins "Die Unerkannte": . . . die im Kampfe, wenn das Herz verwildert / uns besänftigend den Harnisch löst!

Eigentlich sollte er Pfarrer werden, der arme Hölderlin, wie man ihn späterhin immer wieder nannte, aber er wollte es nicht. Nur, die Auflagen waren für ihn als Absolventen des Tübinger-Stifts, der Elite-Schule der Landeskirche Baden-Württembergs, sehr streng: Wer keine kirchliche Stelle antrat, musste sich beurlauben lassen und zudem eine andere Stelle nachweisen. Da blieb bei dieser Qualitfikation nicht viel: Manche wurden Hofmeister, also Erzieher bei betuchten Familien - kein Traumjob, wenn die Brötchengeber womöglich launisch und die Kinder verzogen waren. 
Hölderlin wurde Hofmeister, und eine seiner Stellen wurde ihm zur Seligkeit und zum Verhängnis.
Für mich ist er einer der faszinierendsten und magischsten Gestalten, über die ich je gelesen habe. Und es geht nicht nur mir so, war er doch einer jener, die so dichteten, wie das auf seine Weise kaum einer vor ihm und nach ihm tat, Hölderlins Gedichte sind Unikate. Nur kann man sie nicht einfach lesen. Man muss sie - und das sage ich, der nun kein großer Freund des Meditierens ist - meditieren, meditierend lesen.
Für seine Gedichte und für Hölderlin als Menschen gelten die Worte seines Dichterkollegen Jean Paul: Wer nicht zuweilen zu viel empfindet, der empfindet immer zu wenig.
Hölderlins Schicksal berührt unglaublich und ist verbunden mit einem Gedicht aus der eigenen Feder, überschrieben Hälfte des Lebens, meines Wissens 1804 geschrieben, da war Hölderlin 34. Die zweite Strophe lautet:
.
Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
.
Man stelle sich vor: Zwei recht bekannte Dichter, Schwab und Uhland ließen dieses Gedicht aus der von ihnen herausgegebenen ersten Sammlung von Hölderlin-Gedichten weg, weil sie glaubten, es sei Zeichen der damals wohl schon beginnenden Geisteskrankheit Hölderlins.
Ja, ziemlich genau in der Mitte des Lebens - Hölderlin wurde 1770 geboren und starb 1843 - wendet sich das Blatt: Etwas, was die Menschen Geisteskrankheit nennen, inneres Zerrüttetsein, bahnt sich den Weg in Hölderlins Wirklichkeit. Das hängt gewiss zusammen mit dem Verlust seiner unsterblichen Liebe, die er Diotima nennt. Es ist Susette Contard, die Frau eines sehr erfolgreichen Frankfurter Bankiers. Hölderlin  wird in dessen Familie 1796 Hofmeister, hätte aber wohl nicht lange durchgehalten, hätte es SIE  nicht gegeben. Allerdings schaut sich der Ehemann die Beziehung der beiden nicht zu lange an, immerhin tratscht man in Frankfurt schon. Es kommt zum Eklat zwischen den beiden. Hölderlin zieht zu einem Freund nach Bad Homburg und läuft zwei Jahre lang einmal im Monat - immer am ersten Donnerstag, so verabredeten es die beiden - die wohl fast 30 Kilometer nach Frankfurt. Dort um 10 Uhr trafen sich Susette und Holder, wie er manchmal genannt wurde, wenn auch nur kurz, manchmal fast nur für Augen-Blicke. Dann lief Hölderlin wieder zurück. 
Wer mag, gehe einmal den auf 22 Kilometer angelegten Hölderlin-Pfad, der zu seinen und zur Ehre dieser großen Liebe von Frankfurt nach Bad Homburg 2008 verwirklicht worden ist.
Hölderlin muss diese Strecke oft gegangen sein. 1800 sieht er seine Diotima zum letzten Mal. Beide ringen sich zu diesem Ende durch und die Dokumente beider, die um diesen Abschied ranken, sind erschütternd. Man spürt die Liebe dieser Königskinder so sehr, die zueinander nicht finden durften:
.
Es waren zwei Königskinder
die hatten einander so lieb,
sie konnten zusammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief
.
Für Hölderlin folgen ein Aufenthalt in der Schweiz und dann in Bordeaux. Es ist nicht sicher, ob er dort von der Krankheit seiner Susette schon gehört hat. Er eilt zurück und überquert in völlig verwirrtem und aufgelöstem Zustand den Rhein; die Freunde erkennen ihn kaum wieder. Nach dem Tod Susettes, sie stirbt 1802 an Röteln oder Schwindsucht - ganz klar ist das nicht, vor allem aber stirbt sie für mich wohl auch, weil ihr Hölderlin ihr fehlte - geht es mit Hölderlin nur noch eine Weile gut; er stürzt sich in Arbeit, aber sein Zustand verschlechtert sich. 1806 wird er zwangsweise in das Tübinger Universitätsklinikum eingewiesen und schlussendlich 1807 als unheilbar entlassen. Er findet eine liebevolle Aufnahme bei dem Tübinger Tischler Zimmer, einem Bewunderer seines Dichtens. Zu seinem Ende hin lebt er in dessen Turmstube. Diese letzte Bleibe kennt man heute als Hölderlin-Turm und in seiner gelben Farbe ist er von Tübingens Eberhardsbrücke nicht zu übersehen. 
In dieser seiner zweiten Lebenshälfte schreibt Hölderlin nur sehr wenig. Noch heute ist unklar, was Hölderlin nun wirklich hatte. Gewiss war er, der früh seinen Vater verloren hatte, schon von Kindheit an launisch, unstet und depressiv; auch neigte er offensichtlich zur Hypochondrie. Einer, dessen Hölderlin-Buch mir unvergessen ist, Pierre Bertaux, meint sogar, Hölderlin habe seinen Wahnsinn nur gespielt. Für mich ist da zumindest, bei allem tatsächlichen Kranksein, ein Kern Wahrheit enthalten, denn er konnte sich über seine Situation sehr klar äußern.
Heute nimmt man die wenigen Gedichte der zweiten Lebenshälfte auch wieder ernst. Oder wie sollte man, wenn er noch einmal - es mag um 1809 gewesen sein, als er also schon etliche Schübe von Raserei und Wahnsinn hinter sich hatte - ganz offensichtlich seiner Diotima gedenkt, nicht spüren können, welches wehmütige Bewusstsein, welches wehmütige bewusste Sein da mitschwingt:
.
Wenn aus der Ferne, da wir geschieden sind,
ich dir noch kennbar bin, die Vergangenheit
O du Theilhaber meiner Leiden!
Einiges Gute bezeichnen dir kann,
.
So sage, wie erwartet die Freundin dich
In jenen Gärten, da nach entsetzlicher
und dunkler Zeit wir uns gefunden?
Hier an den Strömen der heilgen Urwelt.
.
Wenn Hölderlin das lyrische Ich an den Strömen der heilgen Urwelt sein lässt, so nehmen wir eine offensichtliche Distanzierung, eine Sicht wie von ferne wahr.
Wenn man allerdings genauer in sein Werk sieht, dann war diese Sicht schon immer da, der Blck in die Weite und der Blick aus der Weite auf das Leben.
Was ich aber unglaublich finde, ist dass er 1795, ungefähr ein Jahr, bevor er Susette kennenlernte, ein Gedicht geschrieben hat, dass die Liebe in den Mittelpunkt stellt auf eine Weise, die mich unglaublich fasziniert.
Dieses Gedicht ist überschrieben An die Unerkannte und es beginnt:

Kennst du sie, die selig, wie die Sterne,
Von des Lebens dunkler Woge ferne
Wandellos in stiller Schöne lebt,
Die des Herzens löwenkühne Siege,
Des Gedankens fesselfreie Flüge
Wie der Tag den Adler, überschwebt?
.
Wunderschön, wie Hölderlin von des Herzens löwenkühnen Siegen schreibt und von ihr, die er in kosmische Dimensionen rückt, wenn er sie mit Sternen vergleicht und sie überzeitlich ewig sein lässt, wenn er von ihrem wandellosen Sein spricht.
Und was diese Unerkannte noch tut: Sie verhilft dem, der schon fast aufgegeben hat, zurück in die Heimat zu finden: Der Dulder ist Odysseus, dessen Schiff vor Alkinoos´ Küste zertrümmert worden war. 
Oft haben wir Menschen fast aufgegeben, doch da gibt es EINE, eine unerkannte Kraft, die uns nicht fallen lässt:
.
Die, wenn uns des Lebens Leere tötet,
Magisch uns die welken Schläfe rötet,
Uns mit Hoffnungen das Herz verjüngt,
Die den Dulder, den der Sturm zertrümmert,
Den sein fernes Ithaka bekümmert,
In Alcinous Gefilde bringt?
.
Und in den letzten beiden Strophen heißt es:
.
Die der Kindheit Wiederkehr beschleunigt,
Die den Halbgott, unsern Geist, vereinigt
Mit den Göttern, die er kühn verstößt,
Die des Schicksals ehrne Schlüsse mildert,
Und im Kampfe, wenn das Herz verwildert,
Uns besänftigend den Harnisch löst?
.
Die das Eine, das im Raum der Sterne,
Das du suchst in aller Zeiten Ferne
Unter Stürmen, auf verwegner Fahrt,
Das kein sterblicher Verstand ersonnen,
Keine, keine Tugend noch gewonnen,
Die des Friedens goldne Frucht bewahrt?
.
Wenn wir diese Zeilen lesen, denken wir an das Ewig-Weibliche, von dem Goethe am Ende seines Faust spricht, als Margarete, die große Liebe des Faust, dessen Seele in den Himmel holt.
Wir denken an die nordischen Walküren, jene Göttinnen, die den Helden, wenn er im Kampf auf dem Schlachtfeld gestorben war, von seinem Harnisch, seiner Rüstung befreite und nach Walhall holte.
Wir denken an Siegfried, der sich in der Eddha von seiner Walküre verabschiedet,  um noch einmal eine Reise zu tun, und dessen Reise so grässlich und tödlich endet.
Im deutschen Nibelungenlied ist nicht klar, dass jene Brunhilde, die er für Gunter auf Island erobert, damit sie dessen Frau werde, im Grunde seine, Siegfrieds Frau ist. Das verschweigt das mittelhochdeutsche Nibelungenlied.
Siegfried erkannte sie nicht, weil die Mutter Kriemhilds wollte, dass dieser große Held ihre Tochter heirate; deshalb gab sie ihm einen Vergessenstrank.
So blieb Brunhilde, die er so sehr kannte, die Unerkannte. Wie sehr beide aber einander gehören, zeigt sich auch im mittelhochdeutschen Nibelungenlied daran, dass beide im Grunde gleichstark waren. Für Gunter war Brunhilde zu stark. Sie wusste auch, dass sie eigentlich zu Siegfried gehört.
Hölderlin hat wohl seine Unerkannte erkannt, nur wenig später, nachdem er dieses Gedicht geschrieben hatte. Doch konnten beide diese Liebe nicht leben. In Liedern, Märchen und Mythen ist von diesem Schicksal immer wieder die Rede.
Mögen wir nicht unerkannt bleiben!
Mögen wir erkennen!