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Samstag, 25. Februar 2012

Olivier Messiaen: Christ ist derjenige, der begreift, dass Gott gekommen ist. – Gott als Versucher?

Vielleicht war er einer der größten Persönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts, einer der größten Musiker auf jeden Fall. So viel weiß ich leider von ihm nicht. Manches aber, was ich weiß, geht mir nicht mehr aus dem Sinn, beispielsweise, dass er ungefähr 700 Vogelrufe zu unterscheiden wusste, deren Klänge immer wieder in seine Musik mit einflossen. 700 - man stelle sich das vor! – Mein Geigenlehrer ging, wenn ein Lastwagen unverschämterweise laut hupte, ans Klavier und schlug genau den Ton dieser Hupe an; das imponierte mir damals gewaltig; aber 700 Vogelrufe unterscheiden - das ist nahezu unvergleichlich. Selbst wenn mein Geigenlehrer 700 Lastwagentypen an ihrer Hupe erkannt hätte: Olivier Messiaen hätte mir mehr imponiert. So viel Natur, die er in sich trug ...
Sicherlich aber wären beide bei Wetten, das ..? Wettkönige geworden.

Im Folgenden zitiere ich aus einem Buch, herausgegeben von seiner - Messiaens Aussagen zufolge - besten Orgelinterpretin, der 1932 geborenen Organistin und Kirchenmusikerin Almut Rößler mit dem Titel Beiträge zur geistigen Welt Olivier Messiaens. Immer, wenn ich drin blättere, bin ich froh, dass es mich der sogenannte Zufall antiquarisch erstehen ließ.
In einem Podiumsgespräch, das 1972 im Bach-Saal der Johanneskirche zu Düsseldorf stattfand, sagte der große Musiker:

Halt, bevor Sie loslesen, möchte ich Sie bitten, ganz genau zu lesen und die Worte dieses tief religiösen Menschen mitzuverfolgen.
Ich bin gespannt, ob Sie allem zustimmen werden ...
Es ist sicher, dass wir uns gegenüber einem Universum befinden mit einer Zeit, einem Raum und einer Menge sich drehender Sterne und Planeten, großer und kleiner. Vor allem interessiert uns ein Planet ganz besonders, weil wir auf ihm leben: die Erde. Wir hegen eine besondere Bewunderung für diesen Kosmos, aber wir alle, selbst die Nicht-Glaubenden, fühlen dunkel, dass es noch etwas anderes gibt, das außerhalb von Zeit, Raum und Gestirnen und all dem, was wir kennen, ist, etwas, das nicht davor und danach, sondern völlig außerhalb ist, das alles hält und enthält, was jeder, der nicht völlig abgestumpft ist, fühlt- und was man Gott nennen kann. Im Grunde ist die Religion vor allem das: die Beziehung zu dem außerordentlichen Geist, der außerhalb von allem ist, der ganz anders ist. In der Geschichte unseres Planeten gibt es Religionsstifter, religiöse Genies, Propheten, hevorragende Volksführer wie Mohammed, Buddha und auch Moses, aber es gibt etwas Einzigartiges, das noch ungewöhnlicher ist als die ganz andere Gottheit; nämlich, dass Gott so verschieden, so fern, so schrecklich, so unbewegt, so ewig und so unendlich er uns erscheint, zu uns gekommen ist und daß er versucht hat, sich in unserer Sprache, in unseren Empfindungen, in unseren Anschauungsweisen verständlich zu machen. Das ist der schönste Aspekt der Gottheit: das Geheimnis der Inkarnation und deshalb bin ich Christ. Dabei denke ich nicht an Unterschiede zwischen Orthodoxen, Protestanten, Katholiken - Christ ist derjenige, der begreift, dass Gott gekommen ist (...) Wieviel schöner ist es , anstelle eines wunderbaren, aber fernen Gottes an einen zu glauben, der versucht hat, sich unseren Sinnen mit unseren Mitteln verständlich zu machen.
So weit, so gut?

Vielleicht geht es Ihnen wie mir: Wir leben in einer Zeit, in der doch bei einigen Menschen das Gefühl, dass es noch etwas anderes gibt, heller und heller wird. So empfinde ich es: dieses Gefühl wird heller - unabhängig davon, dass es genug Menschen gibt, bei denen es dunkel ist, ja vielleicht dunkler wird (insgeheim hoffe ich, dass die Menschheit nicht auseinanderdriftet ...)

Erstens aber empfinde ich, dass das, was Messiaen als außerhalb von Zeit, Raum und Gestirnen ortet, nicht außerhalb von uns ist, sondern in uns - ganz im Sinne Goethes: Im Innern ist ein Universum auch.
Was außerhalb ist, ist auch in uns, sonst - so behaupte ich - könnten wir es gar nicht wahrnehmen.
Gott, dieser Geist, ist für mich nicht außerhalb von allem, wie Messiaen behauptet; diese Vorstellung erschreckt mich eher. – Auch in uns gibt es eine Instanz, eine Wesenheit, eine Entität, die zeitlos ist. Manche nennen sie GOTT.

Das Zweite ist, dass ich nicht glaube, dass Gott zu uns gekommen ist, einfach deshalb, weil ich glaube, dass er nie weg war. 
Wir sollten nicht ihm unterstellen, was für uns gilt, denn: Wir waren weg, nicht er!
Uns Menschen ist es nur gelungen, auf engstem Raum eine Distanz zwischen uns und Gott aufzubauen, die man als große Kunstfertigkeit bezeichnen könnte, wenn auf ihr nicht alles Elend dieser Welt basierte. Es ist deshalb eine kalte Kunstfertigkeit, so wie Luzifer Lichtträger ist - das bedeutet ja übersetzt Luzifer -, aber Träger eines kalten Lichtes.
Gott also, so möchte ich nochmals festhalten, war nie getrennt von uns, er war nie weg. Weg waren wir. Gott aber war da. Und wenn einer fragen mag, wie ich es dann verstehe, dass er seinen Sohn gesandt hat: Natürlich inkarnierte Jesus, aber das, was er brachte, war in Wirklichkeit nie weg. Damit wir Menschen begreifen, um was es geht, kam es scheinbar von weit her. 
Wir haben nicht mehr gesehen, was da ist, deshalb kam es, deshalb musste es kommen.

Gott hat versucht - so sagt Messiaen, und das ist mein dritter Punkt -, sich in unserer Sprache, in unseren Empfindungen, in unseren Anschauungsweisen verständlich zu machen.
Gott hat versucht ...
Welch eine Hybris dieses Mannes. Wir Menschen können, klar, wir können ... Gott dagegen versucht ...
Und er hat versucht, sich unseren Sinnen mit unseren Mitteln verständlich zu machen, so Messiaen..
Welch ein Irrtum. Wenn es so wäre, wäre es das Ende des Kosmos.
Gott versucht ... Welch eine Diskriminierung des Göttlichen. Wahrscheinlich eine unbewusste dieses Mannes ... aber eine, die seit Menschengedenken läuft.
Und die es zu enttarnen gilt.
Gott hat nicht versucht, uns die Liebe zu bringen. Er hat sie vor über 2000 Jahren gesandt - in voller Größe. Die göttliche Liebe war vollgültig da. Genauer gesagt:
Sie kam in ihr Eigentum, doch die Menschen nahmen sie nicht auf, so heißt es im Johannes-Evangelium. Ist man in seinem Eigentum nicht ständig präsent?

Gott reduziert sich nicht den Menschen zuliebe. Gott sei Dank tut er das nicht. Er versucht nicht, sich uns mit unseren Sinnen anzubiedern. Gott sei Dank tut er das nicht.
Die Sonne reduziert nicht ihr Licht, damit wir sie sehen können. Es wäre das Ende unseres Planeten.

Nein, ich glaube, dass Hermann Hesses Radiogleichnis viel eher zutrifft: So, wie es die Radiowellen schon immer gab und die Menschheit schon seit Urzeiten hätte Radio hören können, wenn sie die notwendigen Empfänger hätte bauen können, so ist es mit Gott: Schon immer ist er da; nur hören wir ihn manchmal mit großen Rauschgeräuschen und verstehen ihn kaum - so wie es Harry Haller in Hesses Steppenwolf mit dem Conerto grosso erging - aber wir hören ihn manchmal
Da aber ist er allemal.
Es liegt an uns, ob wir einen Sender bauen und wie wir ihn einstellen! Es gab schon immer Menschen, die ihren Sender so einstellen konnten, dass Gott weitgehend ohne Rauschgeräusche zu ihnen kam, ich denke an Hildegard von Bingen, an Franz von Asissi und vielleicht manches Bäuerlein und manche Bäuerin in einem Schwarzwaldtal oder in den Alpen, von denen wir nicht wissen.

Wie schrecklich wäre es, wenn Gott sich so reduzieren würde, dass wir ihn in der Qualität, in der es uns möglich ist, verstehen.
Sollte er uns dann rauschend, kratzend, quakend erscheinen, weil wir ihn nur rauschend, kratzend, quakend verstehen?
Nicht einmal in dieser Qualität verstehen wir ihn. Immer noch tanzt die Menschheit um das Goldene Kalb, heiße es Euro oder Dollar oder Börse.

Immer noch reduzieren wir Gott, als ob er versuche ... 
... ein Versucher also ...

Eigentlich dachte ich immer, dieser Name sei dem Teufel vorbehalten ...

Vielleicht mag das deutlich machen, was manchmal auf der geistigen Ebene an Verwirrung ablaufen kann ...

2 Kommentare:

Beate Neufeld hat gesagt…

Ich hatte ganz ähnliche Gedanken und Einwände beim Lesen des Zitates.
Vor allem eine Gewissheit wurde für mich ganz deutlich: Gott ist in uns!
Und ich glaube auch, dass er immer und ewig da war und ist. Die Trennung ist nur eine Empfindung von uns.
Die Größe des Göttlichen zeigt sich für mich vor allem darin, dass jedes Wesen, dass sich auf die Suche macht, das Göttliche finden kann. Und jeder findet das, was er zu finden vermag. Je weiter ich meine Herzenstüre zu öffnen vermag, desto mehr Licht kann auf das Göttliche in mir fallen und ich werde in dem Maße sehend, in dem ich mich erhellen lasse.
Herzlichst:
Beate

Johannes G. Klinkmüller hat gesagt…

Liebe Beate,

ich finde Deinen letzten Satz sehr schön gesagt, und:
Ja, unsere Trennung von Gott ist eine Illusion, eine Illusion, die allein auf dem Ego basiert.
Daran, wie stark diese Illusion ist, sehen wir, wie mächtig das Ego ist.
Im Grunde ist es eine Seifenblase. Es bedarf sehr großer Energie, sie immer und immer am Leben zu halten. Doch für ihr Schillern tut die Menschheit sehr viel.
Leider.
Es ist meine Erfahrung, dass gerade Menschen, die sich für sehr geistvoll und geistig entwickelt halten, einem spirituellen Ego anheimfallen, das zu enttarnen oft viel schwieriger ist als das von Atheisten. Dieses spirituelle Ego outet sich in Formulierungen wie "Gott versucht ..." !
Liebe Grüße,
Johannes