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Samstag, 14. Dezember 2019

"Die heiligen Gesetze werden sichtbar". - Conrad Ferdinand Meyers "Unter den Sternen"


Wer in der Sonne kämpft, ein Sohn der Erde,
Und feurig geißelt das Gespann der Pferde,
Wer brünstig ringt nach eines Zieles Ferne,
Von Staub umwölkt - wie glaubte der die Sterne?

Doch das Gespann erlahmt, die Pfade dunkeln,
Die ewgen Lichter fangen an zu funkeln,
Die heiligen Gesetze werden sichtbar.
Das Kampfgeschrei verstummt. Der Tag ist richtbar.

Conrad Ferdinand Meyers "Unter den Sternen" macht in einfachen jambischen Zeilen, schlicht paargereimt, deutlich, dass der Sonnenkämpfer, der von allen beachtete Sohn der Erde, der mutige mit Staub bedeckte Kämpfer, der die Arenen dieser Welt kennt, mit der Urgewalt der Pferde umzugehen weiß und mit Inbrunst sich weitgesteckten Zielen zuwendet, womöglich nicht jener ist, der den Sternen glaubt, in der Lage also, den Blick nach oben und innen zu wenden.

Erst wenn die äußere Kraft erlahmt, der Tag, auch der Lebenstag sich dem Ende zuneigt, wenn der Sommer dem Herbst und Winter weicht, dann wird Entscheidendes sichtbar. Dann auch zeigt sich, was der Tag angerichtet hat; der Lebenstag ist richtbar. Das Getöse weicht der Einkehr, ein Vorgang, vor dem nicht wenige eine jämmerliche Angst haben. 
Gut, wenn man rechtzeitig solche Gedichte liest, die ver-dichten, um was es geht, sie versteht - und rechtzeitig das innere Lärmen abstellt.
Möglicherweise kann man dann noch Tage auf neue, bewusste Weise ausrichten.



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