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Montag, 17. Januar 2022

Wege aus der Corona-Zeit: „Die Skelettfrau.“ Ein Märchen.

In einer seelenlosen Gesellschaft ist die Welt zu einer großen Börse geworden. Entscheidungen sind in Sekundenbruchteilen zu treffen, die Menschen bestimmen nicht mehr selbst ihr Leben, sondern die Kurse, von deren Launen die Menschen sich abhängig gemacht haben. Wie in Hans Christian Andersens Märchen „Die roten Schuhe“ tanzen dieselben, wie sie wollen und wirbeln in irrem Tanz an den Dingen vorbei, nach denen Menschen sich am meisten sehnen. Die aber stecken in ihren roten Schuhen fest und sind auf Gedeih und Verderben mit dem, was jene mit ihnen tun, verbunden. Eine Allianz des Schreckens und entfremdeten Lebens.

Glaubt ernsthaft noch jemand, mit Corona sei es anders? Auf Gedeih und Verderben sind wir von dem Virus abhängig und der macht mit uns, was er will. Vermutlich hatte er nie geglaubt, dass er so leichtes Spiel mit den Menschen hat.

Die Männer, die bei uns das Sagen haben, haben null Alternativen zu ihrem einfallslosen Handeln. Das Märchen von der Skelettfrau zeigt, wie es gehen kann. Gefunden habe ich es in Clarissa Pinkola Estés wunderbarem Buch „Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte.“

Auch in Bezug auf Corona gilt Obiges? Ja, auch in Bezug auf Corona. Denn dieser Virus zeigt uns, wie krank unsere Gesellschaft wirklich ist. Nicht krank wegen des Virus. Sie war schon vorher krank, ja todkrank. Nun lässt sie sich von einem Virus durch die Gegend jagen, und er genießt es und tanzt und tanzt und tanzt und der RKI-Wieler guckt bedenklich und schon ganz krank und Lauterbach sieht mal wieder schwarz und Scholz sagt wieder mal nix und bitte, hört bitte alle zu und dass das aber wirklich jetzt klar ist: Lasst Euch boostern, dieser Weg allein gibt Sicherheit … in alle Ewigkeit …


Die Skelettfrau

Jahre vergingen, bis sich niemand mehr daran erinnern konnte, gegen welches Gesetz das arme Mädchen verstoßen hatte. Die Leute wussten nur noch, dass ihr Vater sie zur Strafe von einem Felsvorsprung ins Eismeer hinabgestoßen hatte und dass sie ertrunken war. So lag sie für eine lange Zeit am Meeresboden. Die Fische nagten ihr Fleisch bis auf die Knochen ab und fraßen ihre kohlschwarzen Augen. Blicklos und fleischlos schwebte sie unter den Eisschollen, und ihr Gerippe wurde von der Strömung um- und um- und umgedreht.

Die Fischer und Jäger der Gegend hielten sich fern von der Bucht, denn es hieß, dass der Geist der Skelettfrau dort umginge. Doch eines Tages kam ein junger Fischer aus einer fernen Gegend hergezogen, der nichts davon wusste. Er ruderte sein Kajak in die Bucht, warf seine Angel aus und wartete. Er ahnte ja nicht, dass der Haken seiner Angel sich sogleich in den Rippen des Skeletts verfing! Schon fühlte er den Zug des Gewichts und dachte voll Freude bei sich: "Oh, welch ein Glück! Jetzt habe ich einen Riesenfisch an der Angel, von dem ich mich für lange Zeit ernähren kann. Nun muss ich nicht mehr jeden Tag auf die Jagd gehen."

Das Skelett bäumte sich wie wild unter dem Wasser auf und versuchte freizukommen, aber je mehr es sich aufbäumte und wehrte, desto unentrinnbarer verstrickte es sich in der langen Angelleine des ahnungslosen Fischers.

Das Boot schwankte bedrohlich im aufgewühlten Meer, fast wäre der Fischer über Bord gegangen, aber er zog mit aller Kraft an seiner Angel, er zog und ließ nicht los und hievte das Skelett aus dem Meer empor . "Iii, aiii", schrie der Mann, und sein Herz rutschte ihm in die Hose, als er sah, was dort zappelnd an seiner Leine hing.

"Aiii" und "igitt" schrie er beim Anblick der klappernden, mit Muscheln und allerlei Getier bewachsenen Skelettgestalt. Er versetzte dem Scheusal einen Hieb mit seinem Paddel und ruderte, so schnell er es im wilden Gewässer vermochte, an das Meeresufer. Aber das Skelett hing weiterhin an seiner Angelleine, und da der Fischer seine kostbare Angel nicht loslassen wollte, folgte ihm das Skelett, wohin er auch rannte: über das Eis und den Schnee; über Erhebungen und durch Vertiefungen folgte ihm die Skelettfrau mit ihrem entsetzlich klappernden Totengebein.

"Weg mit dir", schrie der Fischer und rannte in seiner Angst geradewegs über einige frische Fische, die jemand dort zum Trocknen in die Sonne gelegt hatte. Die Skelettfrau packte ein paar dieser Fische, während sie hinter dem Mann hergeschleift wurde, und steckte sie sich in den Mund, denn sie hatte lange keine Menschenspeisen mehr zu sich genommen.

Und dann war der Fischer bei seinem Iglu angekommen. In Windeseile kroch er in sein Schneehaus hinein und sank auf das Nachtlager, wo er sich keuchend und stöhnend von dem Schrecken erholte und den Göttern dankte, dass er dem Verderben noch einmal entronnen war. Im Iglu herrschte vollkommene Finsternis, und so kann man sich vorstellen, was der Fischer empfand, als er seine Öllampe anzündete und nicht weit von sich in einer Ecke der Hütte einen völlig durcheinander geratenen Knochenhaufen liegen sah. Ein Knie der Skelettfrau steckte in den Rippen ihres Brustkorbs, das andere Bein war um ihre Schultern verdreht, und so lag sie da, in seine Angelleine verstrickt.

Was dann über ihn kam und ihn veranlasste, die Knochen zu entwirren und alles vorsichtig an die rechte Stelle zu rücken, wusste der Fischer selbst nicht. Vielleicht lag es an der Einsamkeit seiner langen Nächte, und vielleicht war es auch nur das warme Licht seiner Öllampe, in dem der Totenkopf nicht mehr ganz so grässlich aussah - aber der Fischer empfand plötzlich Mitleid mit dem Gerippe.

"Na, na, na", murmelte er leise vor sich hin und verbrachte die halbe Nacht damit, alle Knochen der Skelettfrau behutsam zu entwirren, sie ordentlich zurechtzurücken und sie schließlich sogar in warme Felle zu kleiden, damit sie nicht fror. Danach schlief der Gute erschöpft ein, und während er dalag und träumte, rann eine helle Träne über seine Wange. Dies aber sah die Skelettfrau und kroch heimlich an seine Seite, brachte ihren Mund an die Wange des Mannes und trank die eine Träne, die für sie wie ein Strom war, dessen Wasser den Durst eines ganzen Lebens löscht.

Sie trank und trank, bis ihr Durst gestillt war, und dann ergriff sie das Herz des Mannes. das ebenmäßig und ruhig in seiner Brust klopfte. Sie ergriff das Herz, trommelte mit ihren kalten Knochenhänden darauf und sang ein Lied dazu.

„Oh, Fleisch, Fleisch, Fleisch“, sang die Skelettfrau. „Oh, Haut, Haut, Haut.“ Und je länger sie sang, desto mehr Fleisch und Haut legte sich auf ihre Knochen. Sie sang für alles, was ihr Körper brauchte, für einen dichten Haarschopf und kohlschwarze Augen, eine gute Nase und feine Ohren, für breite Hüften, starke Hände, viele Fettpolster überall und warme, große Brüste. Und als sie damit fertig war, sang sie die Kleider des Mannes von seinem Leib und kroch zu ihm unter die Decke. Sie gab ihm die mächtige Trommel seines Herzens zurück und schmiegte sich an ihn, Haut an lebendige Haut. So erwachten die beiden, eng umschlungen. Fest aneinander geklammert. Die Leute sagen, dass die beiden von diesem Tag an nie Mangel leiden mussten, weil sie von den Freunden der Frau im Wasser, den Geschöpfen des Meeres. ernährt und beschützt wurden. So sagt man bei uns, und viele unserer Leute glauben es heute noch.


Dieser junge Fischer hält sich nicht an die üblichen Regeln und was schon immer so gemacht wird. Manchmal tut man etwas unbewusst, man kann aber auch ganz bewusst mal etwas ausprobieren, anders tun, für das Ende von Blockaden sorgen, die ein Leben lang ansonsten existent sein können.

Kein Zufall, was der junge Fischer da an Land zieht. Es ist ein skelletiertes Weibliches. Was einst so voller Lebenssaft und Freude war, hat nicht einmal mehr Augen, keine Haut mehr, nur noch Knochen.

Es ist so wie im Leben der Menschen: Der Tod hat sich vom Leben getrennt, beide existieren für sich, beide haben nichts mehr voneinander mit der Folge, dass ein Teil im Grunde gar nicht mehr existiert, der andere aber panisch reagiert, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht (wo doch, wie sich herausstellt, Leben einziehen will). Wie wehrt er sich, sich nicht ändern zu müssen, alles beim Alten bleiben zu lassen.

Gut, dass das Skelett nicht wirklich tot ist.

Jene Teile in uns, die sich von uns getrennt haben und kein Leben mehr haben, sind nicht wirklich tot. Auch der Gralskönig ist nicht wirklich tot, nur todkrank und die sogenannte Mitleidsfrage des Parzival kann ihn von der tödlichen Krankheit erlösen.

Mitfühlen ist notwendig, denn ohne es zu wissen, fühlen wir mit etwas Wichtigem in uns selbst mit. Parzival erlöst im Grunde mit seiner einfachen Frage: „Oheim, was ist mit Dir?“ seine alte Natur, die überholt ist, todkrank. Sie darf gehen.

Auch der junge Fischer hat ein Herz, das fühlt

Etwas Neues darf entstehen. Wir wissen es: das Weibliche wird wieder singen. Diese Töne werden die Welt der beiden verändern.

Im Märchen geht es auch um das Auflösen der Grenze zwischen Tod und Leben, eine Grenze, die all unsere Kräfte lahmlegen kann; das Glück des jungen Fischers aber hat hier auch und gerade mit dem Weiblichen der Menschheit zu tun. Wo es von den alten ideenlosen Männern fortgejagt worden ist, die herrschen und ihre Macht festigen, indem sie Menschen in Leblosigkeit zwingen, stirbt Leben ab. Wir brauchen uns nur umblicken.

Man mag es nicht glauben, was im Märchen abgeht und was auch in unseren Leben abgehen könnte … wenn wir dem Weiblichen die Möglichkeit geben, sich zu entfalten, zu singen.

Möglich ist es, nur müsste man, was wie tot erscheint, neu ordnen, sich überhaupt ihm zuwenden und schauen, zu was es in der Lage ist: Wir würden staunen …

Wenn wir aber immer das Übliche tun und das, was alte - auch eben geistig verbrauchte und einfallslose Männer uns vorschreiben, dann entgehen uns feine Ohren, breite Hüften, starke Hände, viele Fettpolster überall und warme, große Brüste.

Manche leben ihr Leben lang in Wirklichkeit mit einem Skelett, wie es unter Wasser, also unbewusst, in ihnen lebt, sie aber regiert.

Ich persönlich bin eher für breite Hüften, starke Hände, warme, große Brüste …

Wir müssten halt das skelettierte Weibliche an Land ziehen …

Die ganzen alten Männer (die so alt sind wie die älteren Brüder im Märchen, die in Wirklichkeit nichts auf die Reihe kriegen) und all die männlichen Frauen, die von ihrer lebendigen Weiblichkeit in Wahrheit nichts wissen, tun es nicht …

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