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Freitag, 25. September 2009

Krishnamurti: Das Denken kann die Wahrheit nie berühren! Die Wahrheit ist das Ganze.


Alle Dinge, die das Denken aufgebaut hat, sind Realität. Doch das Denken hat nicht den Berg oder den Baum gemacht, und auch sie sind Realität. All die Götter, all die Rituale, all der Unfug, der durch das Denken in der Welt angerichtet wird, ist Realität - Krieg ist eine Realität, Menschen zu töten ist eine Realität, die Gewalt, die Brutalität, die Gefühllosigkeit, die Zerstörung sind Realitäten, die vom Denken gemacht, vom Denken aufgebaut wurden.



Die Berge, die Bäume, die Flüsse, die Schönheit des Himmels sind Realitäten, doch sind sie nicht vom Denken gemacht worden.


Das Denken kann die Wahrheit nie berühren (...)

Was ist das "Ich", die Eitelkeit, die Arroganz, das Verlangen, etwas zu erreichen, erfolgreich zu werden, woran man sich so erfolgreich klammert? Was ist sein Wesen? Wie ist es zustande gekommen?
Denn solange es existiert, kann das andere nicht sein.

Solange ich egoistisch bin, solange dieser psychische Mittelpunkt existiert, kann unmöglich die Wahrheit existieren,
denn die Wahrheit ist das Ganze.

Krishnamurti: "Vollkommene Freiheit". Frankfurt/Main, 5. Auflage 2006, S. 454f
Mehr zu Krishnamurti: hier

Samstag, 19. September 2009

Wer gibt einem Mehmet, einem Tim K., einem Georg R. eine Stimme? Erfurt, Winnenden, Ansbach und wir!



30 Schülerinnen und Schüler sitzen im Kreis. Mir war zugetragen worden, dass Mehmet von einigen in der Klasse gemobbt wird.
In solchen Fällen setzen wir uns auf diese Weise zusammen; jeder kann dem anderen in die Augen schauen.
Ich spreche offen an, dass Mehmet (Name geändert) immer wieder Opfer von Hänseleien und Gemeinheiten ist und ich frage ihn, wie es ihm gehe.
Mehmet sagt: Mir geht es gut und ich werde nicht gemobbt.
Dabei verzieht er keine Miene.
Die anderen Jugendlichen sitzen so bewegungslos da, wie Mehmet aussieht.
Ich befürchte schon, dass wir sein Unglück nicht werden lösen können.
In meiner stillen Verzweiflung sage ich, was ich selten tue:
Mehmet, ich glaube Dir kein Wort, und zur Klasse gewandt:

Mehmet spricht nicht, wer spricht für Mehmet?

Schweigen. Minutenlanges Schweigen. - Zögernd meldet sich ein Mädchen, dann kommt eine zweite hinzu, eine dritte; zuerst sind es nur Mädchen, die sich melden.
Und alle sprechen davon, wie es Mehmet geht, wie sie empfinden, wie es ihm gehen muss, was sie wahrnehmen, wie andere Jungen mit Mehmet umgehen.
Manche sprechen ausführlicher, manche sagen nur einen Satz, einen wertvollen Satz. Ein Satz für Mehmet.
Einige in der Klasse schrumpfen merklich. Einer der Jungen widerspricht und sagt, dass Mehmet sich auch blöd benehme und erzählt Beispiele. Aber wir können klären, dass Mehmet natürlich kein Heiliger ist und dass er irgendwie auch in der Klasse über die Runden kommen muss, wenn er mal wieder für einige das Opfer ist.

Ehrlich gesagt, war das ein wunderbares Erlebnis.
Kinder gaben Mehmet eine Stimme.
Mehmet wurde nicht mehr gemobbt.
Auf so friedvolle, liebevolle Weise wurde Gewalt an ihm ein Ende gesetzt.
Weil junge Menschen den Mut hatten, für ihn zu sprechen!

So wie Mehmet waren auch Robert Steinhäuser in Erfurt und Tim K. in Winnenden sprachlos und Georg R. wird es im Ansbacher Gefängnis auch sein. Über Allgemeinplätze hinaus wird er der Polizei keine Informationen geben. Ja, vielleicht sagt er sogar, dass er zu viele Gewaltfilme gesehen habe oder dass ihn Erfurt und Winnenden angeregt hätten.

Aber was sagt das wirklich aus über seine Not? Über die Ursachen seines Elends?

Menschen, die keine Stimmen haben, verschaffen sich eine Stimme - und sie kann mörderisch laut sein.

Nicht, dass ich meinen Kollegen in Ansbach zu nahe treten möchte: Aber als klar war, dass niemand mit Georg R. während der unmittelbar bevorstehenden Studienfahrt das Zimmer teilen möchte, hat da jemand ihm eine Stimme gegeben?

Für ihn war das der Normalzustand, dass er ausgegrenzt ist.
Mancher wird sagen: Er hat sich selbst ausgegrenzt.

Aber wir wissen doch ganz genau: Niemand grenzt sich freiwillig selbst aus! Niemand.

Dienstag, 8. September 2009

Gefangen, gefangen in goldenen Ketten, Ketten der "Liebe" - gefangen in der Vaterfalle!

Es gibt einen Typ Frau - und es ist eine von vielen Seiten dieses Typs, allerdings eine sehr dominante -, der für ihre Männer (mit deren innerem Einverständnis) wie ein wandelndes Gefängnis ist; viele Männer haben es sich sehr wohnlich in diesem Gefängnis eingerichtet; im Grunde wollten sie ja auch schon immer dahin.

Es sind Frauen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie alles über ihren Mann wissen und das auch immer wieder hervorheben bzw. deutlich werden lassen. Oft betonen sie, dass sie genau wussten, wie er mal wieder reagieren würde. Gerne sprechen sie auch von "meinem Kurt", "meinem Bernd".
"Ich kenne meinen Ernst." - "Ich hab genau gewusst, dass er das sagt."
Das kehren sie gern heraus.
Sie kennen jedes Wehwehchen, und meistens ist ihr Mann ja auch relativ wehleidig; oder er ist eben einfach des Öfteren krank.
Manchmal sieht man ihm den großen Bub auch an; im Grunde wollte er so eine Frau.
Spricht man mit ihr in seiner Abwesenheit, so spricht sie wie eine Therapeutin über ihn, wie eine Mutter, wie eine, die über die Sorgen und Nöte ihres Kindes Bescheid weiß; Geheimnisse gibt es eh nicht zwischen beiden, zumindest hat er keine vor ihr (glaubt sie), sieht man mal von seiner Sehnsucht ab, die er selbst nicht mehr kennt, selbstbestimmt zu leben, auf gleicher Augenhöhe mit einer Frau (was er ziemlich sicher noch nie gekonnt hat - sein Mutterthema).
Kann auch sein, dass er sich erfolgreich in Arbeit stürzt ... Gefängnis mit Ausgang ...
Wenn seine Frau Kinder hat, dann eher Jungen als Mädchen. Kommt sie in die Schule, z.B. in die Sprechstunde, dann muss ich ziemlich an mich halten; mir tut der Junge leid ... das alte Eisenhans- sprich Mutter-Thema; meistens auch bei dem Ehemann ... ich würde ihm ja den Schlüssel zuwerfen, den er seiner Mutter nicht unter dem Kopfkissen wegstibitzt hat, wie wir es als notwendig aus dem Grimm-Märchen Eisenhans kennen.

ER tut zumeist auch alles für seine Frau, die er gern "Schatz" oder "Schnecke" oder "Liebes" ruft und nennt. Wohlgemerkt: Liebes - das ist ein Neutrum!
Erotik gibt es nicht mehr, vielleicht gab es sie noch nie.
Er guckt nicht offen nach anderen Frauen, das verbittet und verbietet er sich. Höchstens mal, dass er die schöne Moderatorin im Fernsehen genießt, während sein Schatzi in der Küche ist.
Sie ist da anders; sie schaut schon, dass sie auf Männer wirkt oder registriert das ganz genau. Manchmal betont sie das auch gegenüber ihrem Insassen.
So muss es nicht sein; vielleicht verzichtet sie auch ihm zuliebe auf Männerblicke.
Meistens haben das beide: die Lust auf- und aneinander abgeschaltet.
Wie soll auch angeschaltet sein, was nie wirklich da war?! Schließlich liebt man ungern einen Ersatz, einen Vater-Ersatz, einen Mutter-Ersatz.

Dahinter verbirgt sich bei Frauen die große Vaterwunde.
Jedes Kind, jede Tochter hat den Wunsch, den so berechtigten Wunsch, Beachtung zu finden, geliebt zu werden von dem ersten Mann in ihrem Leben. Das ist nun einmal der Vater.
Der aber hat sie nur "geliebt", als sie noch ganz locker auf dem Arm zu tragen war: da gibt es auch schöne Fotos von.
Wie die Tochter den Papa liebte.
Das ließ dann relativ schnell nach, nur die Tochter wollte es nicht wahrhaben.
Irgendwann kam die Phase, wo sie auf sich aufmerksam machen wollte, sei es durch ihr Aussehen (... wie sah sie auch putzig in den Stöckelschuhen von Mama aus);
sei es durch Leistungen in der Schule (wenn er doch wenigstens öfter die so sauber geführten Hefte angeschaut hätte);
oder indem sie trotzig war, kiffte, rauchte oder einen Freund sich zulegte, den er nun gar nicht abkonnte (ätsch, bätsch, ich wollte ja eigentlich auch DICH).
Doch das ist dann meist schon so in ihr verdrängt, dass sie es schon gar nicht mehr spürt, wenn sie IHREN Mann in den Griff nimmt.
Der entkommt ihr nicht mehr.
Nicht dass es ihr so geht wie mit dem ersten, der sie verließ, ohne dass sie in Wirklichkeit jemals spürte, was Liebe ist, wie es ist, von einem Mann geliebt zu werden.

Dabei wäre es so wichtig gewesen, die Liebe des Papas zu spüren.
Es hätte so eine wunderbare Grundlage für das ganze Leben sein können.

Montag, 7. September 2009

"Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen" - Goethes Faust: aktueller denn je!



Faust zweifelt. Das Volumen, das er aufgeschlagen hat, ist das Neue Testament. Dort steht:

Im Anfang war das Wort.

Logos, wie es im griechischen Text heißt. Das Wort.

Das Wort ward Fleisch, so ist im Johannesevangelium weiter zu lesen.

Es wohnte unter uns.
Die Rede ist von Christus als dem auf der Erde, nämlich in Jesus inkarnierten Wort Gottes, der göttlichen Wahrheit, die sich in Jesu Person manifestierte, nach der Taufe durch den Täufer, drei Jahre lang.

In diesem Moment ist Faust jedoch bereits nicht mehr Herr seiner Sinne, denn, ohne dass er es weiß, befindet sich Mephistopheles, dessen wirksamstes Mittel der Zweifel ist, in seiner unmittelbaren Nähe. Immer, wenn das der Fall ist, ist er in dessen Bann.

Und so sucht Faust nach dem Sinn des Logos und kommt schließlich zu einem Ergebnis, das dieses Wort maßlos reduziert: Im Anfang war die Tat!

In menschlichen Begriffen lässt sich das Wesen Gottes, das Wesen des Logos, kaum erfassen, schon gar nicht, indem man es unterteilt in Geist und Tat, denn: Logos ist alles in einem.

Das ist, als ob man fragen wollte: Was ist jeweils zuerst da, Denken oder Fühlen?

Das ist genauso müßig wie die Frage: Ist Gott Tat oder Geist?

Außerhalb von Zeit und Raum gelten nicht unsere Begriffe von Wirklichkeit. Das muss uns bewusst sein, wenn wir von GOtt oder dem Logos als seiner Offenbarung reden.

Gefühl ist alles, wird Faust im Gespräch mit Gretchen sagen, um eine Antwort auf ihre Frage zu finden, ob er an Gott glaube. Er hätte doch eigentlich auch feststellen können:

Am Anfang war Gefühl.

Erstaunlich, dass wir genau diese Antwort am Schluss des Buches Alles fühlt von Andreas Weber finden, das ich kürzlich besprochen habe, ohne allerdings auf den Schluss des Buches einzugehen; dort heißt es ganz am Ende:
Wagen wir also an dieser Stelle, die Einsichten der Schöpferischen Ökologie zu einem ehrfürchtigen Blick auf den Kosmos auszuweiten. Wir waren auf weiten Reisen. Wie sieht die Heimkehr aus? Am Anfang hatte ich beschrieben, wie die Wissenschaftler zunehmend einsehen, dass ihre Grundannahme, allein die Kausalität regiere das Universum, revidiert werden muss und dass sie noch ein anderes Prinzip anzuerkennen beginnen, damit sie die Wirklichkeit richtig verstehen - das der Innerlichkeit oder des Fühlens. Unser letzter Ausflug in diesem Kapitel führt zu der Vermutung, dass dieses Prinzip nicht auf das Reich der Lebewesen beschränkt ist, sondern dass es als versteckte Fähigkeit aller Materie zu eigen ist.
Das, finde ich, sind faszinierende Gedanken.
Andreas Weber kommt allerdings dann zu dem Ergebnis:
All das heißt, dass am Anfang kein logos war - kein abstraktes Wort. Die Wirklichkeit ist ebenso wenig »eigentlich Geist«, wie sie »bloß Materie« ist. Vielleicht müsste es daher besser heißen, »am Anfang war Gefühl« - gewiss jedoch das Potenzial dazu. Gab sich dieses in der Geburt des Kosmos dem Schicksal der Materie anheim, im blinden Vertrauen, im Begehren nach Sein - bis in unsere Sehnsucht hinein, die so immer wieder ganz zum Anfang zurückführt? Verlieren wir uns noch ein letztes Mal im Sternenhimmel, der im Auge der Kröte aufgegangen ist. Schauen wir. Gefühl ist nichts »rein Geistiges«. O nein, im Gegenteil. Gefühl ist Lust und Tragik der Materie.
Schade. Ich finde viele Gedanken in A. Webers Buch beeindruckend, auch noch in obiger Passage.
Aber am Schluss macht er denselben Fehler wie Faust. Er stellt sich über den Logos, er stellt sich über Gott, weil er meint, Logos und Gott seien ein abstraktes Wort.
Und wie Faust ganz mephistophelisch auf Sinn und Kraft und Tat kommt, so fügt dem Andreas Weber das Gefühl hinzu. Weil eben am Anfang seiner Meinung nach kein Logos war, etwas, was Weber als geistige Kraft nicht wahrhaben will, vielleicht, weil es, wie Paulus, der Apostel, im Brief an die Gemeinde zu Philippi formuliert, höher ist als alle Vernunft.

Schade; es gehört Demut dazu zu bekennen, dass es etwas gibt, was wir nicht begreifen.

Und das ist gut so, denn wenn Menschen etwas zu be-greifen glauben, dann greifen sie - Andreas Weber ist hierfür leider auch ein Beweis - auf eine Weise zu, die keinen Raum mehr für Gott und den Logos lässt.

Ich wollte, Gefühl hätte den Platz auf unserer Welt, der ihm zusteht, und dass Weber zu einer neuen Sicht und Bewertung des Gefühls im Rahmen seines Buches kommt, finde ich klasse. Wie aber kann man ernsthaft den Anfang auf Gefühl reduzieren wollen?!

Oder auf Tat?

Donnerstag, 3. September 2009

Immer an der Wand lang ...

Aus den Morgengedanken Christof Schorlings, heute Morgen gehört auf SWR4:

Ein Betrunkener wankt spät in der Nacht durch die Straßen, tastend von einem Alleebaum zum anderen. Schließlich trifft er auf eine Wand. Fein - sie wird ihn ein schönes Stück weiterbringen. Er darf nur den Kontakt mit ihr nicht wieder verlieren. Und so tappt er mit beiden Händen dahin. Immer an der Wand entlang ...

Was er nicht weiß: Die Wand ist eine Litfasssäule. Die umwandert er. Vertrauensvoll. Endlos.


Irgendwann merkt er, dass er im Kreis geht. Ein gequälter Seufzer entringt sich seiner Brust: „Mist, eingemauert!“