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Samstag, 28. Mai 2011

Vatergefühle für den himmlischen Vater, Muttergefühle für die himmlische Mutter

Es ist etwas Besonderes, Heimatgefühle für unser eigentliches Zuhause zu entwickeln. Selten sind sie einfach so da; ich glaube in der Tat, sie müssen sich in uns entwickeln. Und irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo wir in uns fahnden, um zu fühlen, wie sich der innere Vater anfühlt, die innere Mutter, wie unsere wahre Heimat sich anfühlt. Es ist etwas Besonderes, diesen Gefühlen auf der Spur zu sein. 
In den Tiefen unserer Seele sind all die angesprochenen Gefühle freilich vorhanden und manche Dichter haben ein Bewusstsein von ihnen, zum Beispiel Hugo von Hofmannsthal in seinem Gedicht Weltgeheimnis mit Hilfe des Bildes vom Brunnen. Doch darf das Wasser des Brunnens nicht versiegt sein, das Wasser des Lebens, das dieses Gefühl, zu Hause zu sein, tränkt.
Was füllt diesen Brunnen mit Wasser?
Hoffnung und Glaube.
Deshalb nennt Paulus in seinem Brief an die Korinther Hoffnung und Glaube in einem Atemzug mit der Liebe. Die Trinität steht nicht auf einem Bein; auch die Liebe bedarf der Hoffnung und des Glaubens. Ohne diese beiden gibt es keine Liebe.
Manche Seele irrt herum und sucht diesen Brunnen, von dem Hofmannsthal schreibt, IHREN Brunnen, manche weiß nicht einmal um seine Existenz.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir Kindern Märchen vorlesen. Vorlesen, keinen Video zeigen, denn nur das Vorlesen lässt des Kindes EIGENE Bilder sich freisetzen, und Bilder, die in ihr angeklungen sind, versiegen ein Leben lang in der Seele nicht mehr.
In den Märchen ist es diese magische Formel des
Es war einmal, die die Seele daran erinnert, dass es diesen Urzustand einer seligen Heimat gibt, in der es einen guten König und eine gute Königin gab.
Wenn der König oder die Königin, wenn Vater oder Mutter krank oder verloren sind, setzt der Märchenheld alles daran, das Heilwasser zu bringen oder sie wiederzufinden.
Märchen aktivieren diese Suche nach dem inneren Vater und der inneren Mutter auf einer unbewussten Ebene für ein ganzes Leben.
Sie tun das auch, wenn ein Erwachsener sie liest.
Märchen heilen.
Trostlos sind die Seelen, die ohne das Wissen um diese innere Heimat herumirren; Friedrich Nietzsche, nicht nur ein gewaltiger Philosoph, sondern ein wissender Dichter, hat ihrem Bewusstseinszustand sein Gedicht Vereinsamt gewidmet (Link folgt).
Wir wissen um die vielen Ersatzhandlungen, die Seelen vornehmen, um den Verlust des Brunnens nicht wahrnehmen zu müssen und die Trostlosigkeit ihres Zustandes ohne Hoffnung und Glauben zu übertünchen; oft geschieht dies durch die Flucht in den Intellekt, doch nehmen mehr und mehr Menschen wahr, wie trocken dieser
Gehirnstrohsack raschelt.
Oder sie fliehen in die Welt des Glimmer, des Scheins, des Lebens als Event. Goethe hat in seinem Faust in den Worten Mephistos diesem Verhalten ein Denkmal gesetzt, wenn er diesen Teufel davon sprechen lässt, dass er die Menschen in das
Rauschen der Zeit führt, ins Rollen der Begebenheit. Ja, die Zeit muss rauschen, damit man den Verlust der inneren Stimme nicht wahrnimmt, ständig muss etwas rollen, etwas abgehen, um die innere Leere nicht wahrnehmen zu müssen.
Und noch etwas kann dem Sich-bewusst-Werden des eigenen Vaterhauses gegenüberstehen: das reale Vaterhaus unseres Lebens. Erschreckend ist, wie sehr dieses Vaterhaus den Zugang zum inneren Vater und der inneren Mutter verstellen kann; Kafkas Leben und insbesondere seine Kurzgeschichte
Heimkehr machen das deutlich.
Irgendwann kommt der Punkt, wo wir, wo unsere Seele lauscht nach dem inneren Vaterhaus, das ja immer zugleich ein Mutterhaus ist, wo es wahrnehmen will, wie dieses Heimatgefühl sich anfühlt.

Vieles scheint bei Wilhelm Busch, dem Dichter unter anderem von Max und Moritz, mit leichter Hand geschrieben, wirkt locker in Reime verpackt, doch täuschen wir uns nicht: Hinter manchem Gedicht verbergen sich viele Tränen und viel Leid.
Vielleicht auch hinter jenen Zeilen von ihm:


Wie kam ich nur aus jenem Frieden

         Ins Weltgetös?

Was einst vereint, hat sich geschieden,
         Und das ist bös. 

Nun bin ich nicht geneigt zum Geben,
             Nun heißt es: Nimm!
Ja, ich muss töten, um zu leben,
            Und das ist schlimm. 

Doch eine Sehnsucht blieb zurücke,
    Die niemals ruht.
Sie zieht mich heim zum alten Glücke,
 Und das ist gut. 

Hinter all den Verletzungen des Lebens wartet jenes alte Gück, das in Wirklichkeit niemals altert, weil es ein ewiger Jungbrunnen ist, und wenn wir uns darauf zubewegen, dann kommt uns der Vater mit ausgebreiteten Armen entgegen und führt uns ins Haus, das erleuchtet ist vom heiligen Glanz unserer inneren Mutter.
Frieden gibt es nur hier und wir sollten auch wissen: Wenn wir Frieden in uns fühlen, dann sind wir auch in diesem Haus, zu Hause.
Auf der Erde ist es dem Menschen vielleicht nicht dauerhaft möglich, im inneren Vaterhaus zu sein, aber doch immer bewusster und immer freudiger zieht es unser Bewusstsein dort hin.
Genauer gesagt: Dieses Haus unserer geistigen Eltern, unsere geistige Familie nehmen wir dorthin mit, wohin wir gehen, und die Menschen, denen wir begegnen, spüren die Macht und die Heiligkeit der inneren Eltern, die immer bei uns sein wollen und sind.


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