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Sonntag, 23. Oktober 2011

Der Herbst des Einsamen - Georg Trakls Sicht dürfen wir transformieren.


      Georg Trakl (1887-1914)
 Der Herbst des Einsamen

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Geberde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden,
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.


Respekt gebührt diesem sensiblen Dichter, dessen Seele so tief verletzt war und dessen Weise, sterben zu müssen, wir alle bedauern - ich habe an anderer Stelle darüber geschrieben.
Dennoch wollen wir uns - wenn es nach mir geht - seinen Gedanken, vor allem den Schlussgedanken, nicht anschließen, gründen sie doch auf seinem Leben- und Sterbenmüssen, das stellvertretend für das noch anderer unglücklicher Menschen steht.

Auch in diesem Herbstgedicht, wie in vielen Traklgedichten, finden wir Töne, die unsere Seele tief berühren, weshalb es wert ist, dass sie Beachtung finden.
Da findet sich der Topos des Fluges der Vögel, von dem wir wissen, dass er tiefe Geheimnisse enthält, die uns Modernen verschlossen sind und die wir nur dunkel ahnen. Wir wissen um die Geheimnisse der Sagen, der alten Sagen, deren Wissen uns so tief bereichern kann und es momentan nur unbewusst tut.
Auch sprachlich berühren Trakls Worte, und dies geschieht ja fast immer auf einer unbewussten Ebene: Wir finden die Zwillingsformel Frucht und Fülle, die zugleich als Alliteration wirkt, wir finden Gekeltert und Erfüllt, inversiv, das heißt, abweichend vom normalen Satzbau, als parallel gestellte Partizip-II-Konstruktionen am Zeilenanfang, auf uns wirkt die milde Stille als assonanter Binnenreim, Alliterationen wie die Wolke, die über den Weiherspiegel wandert, die zugleich auch eine Personifikation beinhaltet, wie das ebenso  von des Abends blauem Flügel gesagt werden kann, der dadurch ein besonderes Leben erhält.
Da sind zugleich auch ganz besonders die Farbklänge, die um DIE Farbe des Expressionismus kreisen, um das Blau.
Trakl weiß um dessen Geheimnis: Das Blau, das wir auch als Farbe der GottesMutter Maria kennen, befreit sich in die Stille hinein, wenn alles lautere Farbenspiel der Hitze, des Sommers zurücktreten konnte. Wir kennen viele Blautöne, kennen das Himmelsblau, das Blau des Meeres, sprechen davon, dass der Morgen blaut; wir dürfen ganz besonders um das stille Blau wissen.
Bei Trakl tritt dieses stille Blau als reines Blau hervor und bei ihm ist es nicht der Morgen, sondern der blaue Flügel des Abends, der menschliche Gefilde berührt; es sind die blauen Augen der Liebenden, von denen er spricht.
Wir spüren aber in allem zarten Ton eine leise und doch dringliche Not: die Hülle ist verfallen, es gibt dunkle Fragen, die Herde verliert sich, Liebende leiden, Stroh ist dürr, Stuben sind kühl, es fällt ein knöchernes Grauen an, das den Blick öffnen will, hin zu Gevatter Tod; nicht von ungefähr ist von schwarzem Tau die Rede, der von kahlen Weiden tropft.

Bei dieser Sicht der Dinge darf der Mensch nicht stehen bleiben, sonst versäumt er es aufzumerken, dass der November ein Monat der Wandlung ist, der uns einstimmen will auf die Tage der Ankunft, des Advents, die gipfeln in dem intensivsten Licht, das der Menschheit geschenkt worden ist, dem Weihnachtslicht, der Sonne um Mitternacht, wie wir sie ganz besonders in der Stillen Nacht empfinden können.
Jedes Jahr aufs Neue. Jedes Jahr wird es aufs Neue geschenkt.

Es gilt, solche Trauer, wie wir sie bei Trakl finden, anzunehmen, die, wie gesagt,  eine Trauer vieler Menschen ist.

Doch einsam ist niemand; es gibt Antworten für eine Seele, die sie vernehmen kann, und sie kommen von den Sternen, die uns ewig begleiten, und den Engeln, die uns Antwort geben, gerade wenn die Tage dunkler werden. In deren zunehmender Dunkelheit liegt die Möglichkeit, jenes Licht wahrzunehmen, von dem wir wieder einen ganzen Sommer lang zehren.

Es sei denn, uns gelingt etwas Besonderes: Weihnachten als seelische Entwicklungsstufe das ganze Jahr in uns mitzunehmen.