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Samstag, 25. Dezember 2010

Eine Silberschnur zwischen unserem Herzen und unserer Zeit. – Was Meister Hora und Momo über Zeit wissen.

Hellsichtige Menschen sehen jenen Lebensfaden, der unsere irdische Existenz ermöglicht, indem er den sogenannten Astralkörper, den Träger unseres Bewusstseins, unserer Leidenschaften und Empfindungen, unterhalb des Herzens mit dem physischen Körper verbindet, als eine silberne Schnur. 
Von ihr ist in der Bibel, im Prediger Salomo, Kapitel 12 die Rede:

5 wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; –
6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.
7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

Mit dem Tod reißt diese Verbindung.

In der griechischen Mythologie gibt es die Moiren, in der lateinischen die Parzen und in germanischen die Nornen - jeweils sind es drei Schicksals-Göttinnen -, die über diesen besonderen Faden, den Lebens- oder silbernen Schicksalsfaden wachen. Wird er durchtrennt, stirbt die irdische Existenz des Menschen.

So wichtig ist das Wissen um diesen Zusammenhang, dass drei große abendländische Kulturen drei wichtige Gottheiten ihm gewidmet haben. Missverstehen wir ihre Realität nicht: Es gibt sie.

In Michael Endes Momo hat Meister Hora die drei Funktionen der Schicksalsgöttinnen, die Silberschnur zu spinnen, über sie zu wachen und sie zu durchschneiden, inne. Kein Wunder, dass er von einem silbernen Tor spricht. Er ist allerdings nicht Herr über das Schicksal, gleiches gilt auch für die Schicksalsgöttinnen; er ist sozusagen nur ausführendes Organ einer höheren Macht. Dennoch darf man von ihm zur Recht wertschätzend von einem Meister sprechen. Hora kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Stunde

Meister Hora führt unser Stundenbuch. Die Bibel nennt es Buch des Lebens.

Doch lassen sie uns nachsehen, wo der Ursprung unserer Silberschnur sein sollte, denn sie beginnt nicht einfach im menschlichen Körper, sondern im eigentlichen Sinne in seinem Herzen; in Momo heißt es deshalb:
(...) so wie ihr Augen habt, um das Licht zu sehen und Ohren, um Klänge zu hören, so habt ihr ein Herz, um damit die Zeit wahrzunehmen. Und alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist so verloren wie die Farben des Regenbogens für einen Blinden oder das Lied eines Vogels für einen Tauben. Aber es gibt leider blinde und taube Herzen, die nichts wahrnehmen, obwohl sie schlagen.
Ein Herz, das nicht sehen kann, ein Herz, das nicht hören kann, ist nur eine Stoffwechselpumpe.
Das Glänzen des Lebensfadens ist dann ganz matt; es gibt ja nur eine müde Verbindung zwischen der Lebenszeit eines Menschen und seinem Herzen. Leider kann dies bereits für junge Menschen gelten, zumal unsere Schule nicht dieses Wissen, dieses Herz-Wissen fördert.

Noch etwas lehrt uns Momo

Jede Stunde unseres Lebens kann ein Geschenk sein. Diese Möglichkeit entfaltet sich vor der kleinen Momo in einer Weise, die zu den schönsten Passagen des Buches von Michael Ende gehört. Als wunderschöne Blüte taucht sie auf, diese augenblickliche Stunde, verbunden mit einem klingenden Licht, das zu hören ist. Doch als Momo glaubt, dass sie nun die Zeit aller Menschen wahrgenommen habe, belehrt sie Meister Hora:
Was du gesehen und gehört hast, war nicht die Zeit aller Menschen. Es war nur deine eigene Zeit. In jedem Menschen gibt es diesen Ort, an dem du eben warst. Aber dort hinkommen kann nur, wer sich von mir tragen lässt. Und mit gewöhnlichen Augen kann man ihn nicht sehen.
Man muss die Augen Momos haben, die Augen eines Kindes, um diese Schönheit der Zeit sehen zu können. Und noch etwas: Es bedarf des Vertrauens in Meister Hora. In die Zeit. In das Leben.

Mit dem griechischen Gott Kronos - kronos bedeutet bekanntlich Zeit - begann die Weltenuhr zu ticken.
Heute sind wir auch über die Regentschaft des Zeus, der seinem Vater Kronos folgte, hinaus. Jeder von uns, ob Mann oder Frau, ist ein Prometheus, der sein Leben selbst in die Hand nimmt, mehr oder weniger bewusst.

Momo kann uns daran erinnern, woher wir kommen. Denn nur, wenn wir das wissen, ahnen wir unser Ziel, das - so ergeht es ja auch den Märchenhelden - nur anders aussehen wird als zu Beginn unserer Reise. Wir wollen den Ausgangszustand wiederherstellen, der Märchenheld möchte, dass Vater und Mutter wieder gesund werden. Doch repräsentieren beide, repräsentieren der gute König und die gute Königin ein Bewusstsein, von dem wir uns verabschiedet haben. Unser neues Bewusstsein können wir nur erahnen.

Lesen wir Momo, gewinnen wir Vertrauen, dass alles gut wird. - 

Weil wir nie gestorben sind, leben wir noch heute. Davon erzählen die großen Grimm-Märchen. 
Und Michael Endes Momo.


mehr zu Momo und dem Zusammenhang von Herz und Zeit
inclusive jener schönen Passage, von der oben die Rede war: hier

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