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Samstag, 12. Februar 2011

"Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich." – Orte der Liebe.

Das Motiv der Hütte taucht in Goethes Faust immer wieder auf. Man darf dabei nicht an Köhler- oder Grillhütte denken, nein: Hütte, das ist eine Existenzform, eine Weise zu leben. Gewiss, in Beschränktheit und vielleicht sogar Armut, aber in Reinlichkeit im Kreis seiner Lieben. Fausts Seele sehnt sich danach, so leben zu dürfen, er ahnt, dass er nicht in seinen Büchern sein Glück findet, sondern hier, dass womöglich hier sich die Antwort auf jenes Streben, wissen zu wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, einstellt. 
Margarete, die er gerade einmal, nach deren Kirchgang nämlich, gesehen und mit der er bis dahin nur zwei Sätze gewechselt hat, wohnt in solch einer Hütte, und als Faust in ihrer Abwesenheit ihr Zuhause betritt, da geht ihm das Herz auf, da spürt er, welche Fülle hier wohnt, welche liebenswerte Ordnung hier sich findet, welche Zufriedenheit, eben: welcher Frieden. Hier findet seine Seele den Himmel. Ja, es gibt ihn wirklich, den Himmel auf Erden. Und Faust nimmt ihn wahr. Auch wenn er die vorhandene Beschränkung Kerker nennt, so fühlt er, welche Seligkeit hier wohnt. Er wirft sich in einen Sessel, in dem sich die Wertschätzung auch der Ahnen spiegelt, die in ihm schon saßen, an dem auch schon sein Liebchen, als es klein war, stand.
In solch eine Liebe, Ordnung und Fülle hineingebettet, hat Mephistopheles, der Durcheinanderwerfer, der Teufel, der Lügner, der Fausts Seele verführen will, keine Macht. Faust hat ihn vor die Türe gewiesen, um Worte der Liebe finden zu können, wie sie dem Herzen eines Mannes nur selten entströmen:
Willkommen, süßer Dämmerschein,
Der du dies Heiligtum durchwebst!
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein,
Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst!
Wie atmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armut welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!

(Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.)

O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon
Bei Freud und Schmerz im offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väterthron
Schon eine Schar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil'gen Christ
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,
Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.
Ich fühl o Mädchen, deinen Geist
Der Füll und Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweist
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,
Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.

Und dann geschieht etwas, was zum höchsten Glück, das Menschen erleben dürfen, gehört:
Faust kennt sich nicht mehr. Die Liebe befreit ihn aus seinem Bildnis, das er von sich hat, worüber Max Frisch so bezaubernd schrieb.

Bezaubert, verzaubert von Margaretes Hüttendasein, so spricht Faust sich selbst an:
Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?
Armsel'ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
Faust wird dieses Ahnen, dass er hier finden könnte, was die Welt im Innersten zusammenhält, nicht in seine Wirklichkeit hineinverwirklichen können; es bleibt ein momentanes Ahnen seiner Seele. Nur wir als seine Nachfolger können realisieren: Um das Innerste der Welt zu finden bedarf es keiner Kathedrale, keines Doms, keines Hörsaals, keiner Papstaudienz oder Bhagavad Gita; wir können das Innerste der Welt in einer Hütte finden ... gegebenenfalls auch in einem Stall . . .

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