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Mittwoch, 5. November 2008

Von den Wirklichkeiten des Wassers (II): Der sinkende Petrus - auch das sind wir!

Nie hätte Petrus gedacht, dass er einmal auf dem Wasser gehen würde, wiewohl er ein Typ Mann war, der sich eigentlich alles zutraute, der später, wenn er in eine Bredouille kommen wird, einem Soldaten ein Ohr abschlägt, der, wenn er ein Brot in die Hand nimmt, es spielend zum Brötchen macht.
Eben jedoch hat er noch gewaltig die Hosen voll, denn der Kahn, in dem er mit anderen Jüngern sitzt, schlingert gewaltig auf dem See und er weiß genau, dass für ihn als passioniertem Nichtschwimmer bei diesem Wellengang das Ufer kaum zu erreichen ist. Da, auf einmal, taucht auf dem Wasser ein Gespenst auf, das sich als Jesus entpuppt. 
Das nun imponiert Petrus gewaltig; so einfach auf dem Wasser zu gehen, das möchte er auch, und er sagt zu Jesus, er solle ihn zu sich kommen heißen. Diese Garantie nun wollte er doch haben, dass er sozusagen auf göttliche Aufforderung hin auf dem Wasser geht. Und tatsächlich sagt Jesus zu ihm: "Komm her!"
Dieses Geschehen hat eine reale  und eine symbolische Ebene.
Für erstere erhebt sich die Frage, ob sich alles wirklich so abgespielt hat. 
Eine Diskussion über diese Frage verstellt den Blick auf eine weitere, nächste Ebene, die wir erkennen, wenn wir Johann Wolfgang von Goethes Sicht auf die Wirklichkeit des Wassers verstehen, die er angesichts des Staubbachfalls im wunderschönen Lauterbrunnental niederschreibt:

Des Menschen Seele 
Gleicht dem Wasser ...

Wir wissen, dass bis ins Mittelalter hinein der Mensch in vier elementare Ebenen eingeteilt wurde: in die des Erdelements, die bis zu den Hüften sich erstreckte, die des Wassers - bis zum Solarplexus, der Luft (Brust, Lunge, Bronchien) und des Feuers, die also die Kopfzone erfasste.
Übrigens wurden auch die Evangelisten diesen Elementen zugeordnet:
Matthäus dem Element der Luft, welches in unmittelbarem Zusammenhang steht mit der Fähigkeit zu gedanklicher Kraft;
Markus dem des Feuers und dem Tierkreiszeichen des Löwen, was kein Wunder ist, leitet sich doch sein Name von dem lateinischen Gott Mars und seinen gewaltigen lichtvollen kriegerischen Kräften ab;
Lukas dem Element der Erde im Zeichen des Stieres und schließlich 
Johannes, ursprünglich im Zeichen des Skorpions dem Wasserelement zugeordnet. 
Dieser Jünger war der Lieblingsjünger Jesu, dessen Herzen er am nächsten lag, was in der Sprache der Bibel schlicht bedeutet, dass er dem großen göttlichen Herzen sich am meisten anverwandeln konnte. Johannes überwand die Gebundenheit an die Tierkreiszeichen, eine Aufgabe, von der auch Paracelsus spricht, wenn er meint, dass es gelte, den Himmel in uns zu reinigen. Nicht mehr in irgendeiner Form von den stellaren Konstellationen zum Zeitpunkt der Geburt abhängig zu sein, war das Ziel von Paracelsus, dem großen Arzt, und Johannes.
Das Zeichen des Adlers für den Lieblingsjünger Jesu weist auf seine Fähigkeit hin, Göttliches und Menschliches zu verbinden.

Zurück zu der Bedeutung des Wassers: 
Jesus ist der Meister des Wasserelementes, dem alle Gefühle zugeordnet sind. Ein Meister des Wassers kann in seine unendliche Tiefen tauchen, er kann darin schwimmen, er kann auf diesem Element gehen - wie er möchte. Alle Emotionen der Menschen sind ihm vertraut, nichts ist ihm unbekannt.
Die Symbolik des Auf-dem-Wasser-Gehens sagt uns: Jesus ist der Meister dieses Elementes, nicht sein Beherrscher, sondern sein Vertrauter.
Solange Petrus auf diesen Meister bei seinem Gehen über das Wasser schaut, ist er dessen Kraft und Fähigkeit teilhaftig. In ständigem Kontakt mit dem Meister ist er ein vollkommener Schüler.

In jenem Moment, als Petrus auf einmal diesen Windstoß, der da so heftig von der Seite kommt, spürt und meint, das Wasser kontrollieren zu müssen, indem er einen Blick seitwärts wirft, verliert er den Kontakt zu Jesus und säuft so schnell ab, dass er kaum mehr um Hilfe rufen kann.
Genau das geschieht uns tagtäglich, wenn wir zweifeln, wenn wir gespalten sind; denn das bedeutet Zwei-fel: in zwei gefaltet, gespalten zu sein.
Aller Zweifel zerreißt uns, trennt uns von uns selbst, von unserem inneren Kern, dem Himmel in uns.
Zweifel und Angst unterbrechen den Kontakt zum Göttlichen und schon trägt das Wasser nicht mehr; wir gehen in ihm unter. Strudel von Angst, von Neid,  von Hass und allen möglichen trüben Emotionen lassen uns in den Wassern der eigenen Seele schier untergehen. Und welche Erfahrungen man in den Tiefen des Wassers machen kann, hat niemand anders als Friedrich Schiller in seiner Ballade Der Taucher so überzeugend gestaltet.
Manche bleiben wie Narziss ewig an der Oberfläche, andere haben den Mut, die Seele zu erkunden.
Gut, wenn man wie der Edelknecht im Taucher mit einem goldenen Becher wieder auftauchen darf.

Wie wunderbar diese Verbindung zum Göttlichen sein und aussehen kann, wenn man unverwandt, wie Petrus zu Beginn, Jesus anschaut, hat die hochverehrte Ricarda Huch in einem der schönsten Sonette, die ich kenne, gestaltet:

Du warst in dieser götterlosen Zeit,
Wo trübe Träumer ohne Lichtgedanken
Wie leere Schiffe unterm Himmel schwanken,
Der Stern, der mich geführt hat und gefeit.

Die Spur, die du gegangen, zu betreten,
dass ich nicht irrte, war mein hohes Ziel.
Von irdischen Geschäften, Drang und Spiel
Trug mich empor das Glück dich anzubeten.

Wie nachts ein Segel steuernd heimatwärts
Der Leuchte zu die schweren Nebel spaltet
Und so gelenkt sich in den Hafen rettet,

Ging ich getrost, den Blick an dich gekettet,
Die Hände gläubig auf der Brust gefaltet,
Durch Flut und Dunkel an dein strahlend Herz.

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