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Dienstag, 29. Dezember 2009

Innere Kinder in der Politik: Wie alt war George Bush, als er eine ganze Nation nach Bagdad marschieren ließ?


Ich behaupte, er war 12 Jahre alt.
In Gestalt ihrer Soldaten marschierte unter Bushs Oberbefehl eine ganze Nation inclusive der 47 Staaten umfassenden Koalition der Willigen im Irak ein, in der Tat oder mittels unterstützender Gesinnung.

Vor 4 Tagen schrieb ich über Innere Kinder in Träumen. Und oft, wenn ich über diese Thematik nachdenke, kommt mir George W. Bush in den Sinn.
Mir soll es hier nicht um die fragwürdigen Umstände gehen, unter denen Bush junior Amerika in den Irak-Krieg führte - sein damaliger Außenminister Colin L. Powell hat es wohl bitter bereut, diesen gezielten Fehlinformationen auf den Leim gegangen zu sein;
auch nicht um seinen unwürdigen Boykott einer sinnvollen Umweltpolitik oder sein Verhältnis zur Todesstrafe sowohl als Gouverneur von Texas als auch als Präsident der USA. Ich will auch nicht jene Bilder aktualisieren, die seine Gesichtszüge thematisieren und eine gewisse Ähnlichkeit zu Affen herstellen.
Zu respektieren ist der Mensch.

Nur muss die Frage erlaubt sein, warum er Amerika in den Zweiten Irakkrieg - manche bezeichnen ihn auch als den Dritten Golfkrieg - führte. Jeder erinnert sich noch, dass die Amerikaner in Bagdad sofort das Ölministerium besetzten und die Anhänger Sadam Husseins in Ruhe noch in den anderen Ministerien Dokumente vernichten konnten, Gegner Sadams dagegen öffentliche Gebäude plünderten, ohne dass die Amerikaner etwas unternahmen. Ein Schelm, wer dabei nicht daran denkt (wenn er es weiß), dass Bush seine berufliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Erdölförderung begann, wobei allerdings beide Firmen, die er gründete und besaß bzw. führte, pleite gingen.
Obwohl auch das - und hier gibt es noch andere anzuführen, ich denke nur an die Ache des Bösen, die es für ihn zu bekämpfen galt - eine fragwürdige Angelegenheit und Motivation gewesen sein könnte und für mich auch war -
mich interessiert ein menschlicher, sozusagen familiärer Aspekt:

Mir ist es einfach zu offensichtlich, dass er ein Bub war, wenn er Oberfeldmarschall spielte und eine ganze Nation dahin führte, wohin schon sein Vater im Rahmen des 1. Irakkrieges hätte eigentlich hinwollen sollen, dann aber doch den Schwanz eingekniffen hat: nach Bagdad, ins Herz des Irak.

Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass diverse Psychologen und Journalisten diesen Zusammenhang nicht gesehen und artikuliert haben. Seltsam nur, dass nie etwas über den Großen Teich gelangt ist; vielleicht doch, jedenfalls habe ich nichts darüber gelesen.

Für mich ist offensichtlich, dass eine Haupttriebfeder in den Krieg zu ziehen das Ansinnen des Buben George war, dem Vater zu beweisen, dass er ein Mann sei.
Und dass er mehr zustande bringe als der Vater.
Eben, dass es ihm gelingt, was jener als Präsident im 1. Irakkrieg nicht geschafft hatte und auch nicht wollte: nach Bagdad zu gelangen.

Ich sehe einfach diesen Gesichtsausdruck George Bushs vor mir, wenn er bisweilen hinter den Mikrophonen stand und sich sein Gesicht zu einem herausfordernden, dreisten, verzerrt-schelmischen Lächeln verzog.
Das war kein Mann, der da stand, für mich war er es nicht. Da stand ein großer Bub.

Und immer, wenn er den großen Staatsmann spielte, dann war auch dahinter versteckt dieser große Bub, der es Papa und Mama beweisen wollte: Seht her, zu was ich es gebracht habe!

Solch ein Mann ist - zumindest gegenüber dem Vater - nie ein Mann.
Er macht aber seine Umgebung, wo immer es geht, zu Söhnen.
Nur spüren ihm nicht wenige an, dass in diesen Fällen nicht wirklich eine Persönlichkeit vor ihnen steht, sondern eben ein großer Junge.

Gut, dass den amerikanischen Präsidenten in der Regel eine Auswahl hochkarätiger Berater umgeben. Wohin hätte dieser Bub Amerika außer nach Kabul und Bagdad noch zu führen versucht?

Wir wissen aufgrund der trefflichen Ausführungen Stephen Wolinskys in "Die dunkle Seite des inneren Kindes", dass jemand, der aufgrund bestimmter seelischer Muster in einen anderen Bewusstseinszustand gerät, sich in einer Art Trance befindet: "Die Sicht der Welt des Kindes ist in der Zeit eingefroren, was dem Erwachsenen allerdings nicht bewusst ist (...). Der Erwachsene der Gegenwart ist vielmehr hypnotisiert von dem Schema des verwundeten inneren Kindes und reagiert automatisch. Das Leben wird nicht so erfahren, wie es im gegenwärtigen Augenblick ist, sondern so, wie es in der Vergangenheit war."
Ob wir es nun die Subpersönlichkeit des inneren Kindes nennen, das falsche Selbst des inneren Kindes oder wie auch immer: Wir sprechen "von einer Situation, die in der Zeit erstarrt ist wie in einem Kälteschock, (..) durch die das innere Kind Erfahrungen sieht und die Außenwelt interpretiert."
Handlungsaktiv also ist nicht der Erwachsene, sondern das Kind, das dem puritanisch reinen oder übermächtigen Vater und oft einer vergleichbaren Mutter etwas beweisen möchte. Das ist wie eine Sucht, die darauf basiert, dass das Kind nie bekam, was es gebraucht hätte: Anerkennung auch ohne Gegenleistung.
In diesem Moment der Erstarrung, der Trance, ist der Erwachsene nur in dieser Alterstufe ansprechbar. Wer ihn dann nicht ernst nimmt, riskiert, von ihm kaltgestellt zu werden, so wie das Kind sich kaltgestellt fühlte, wenn es nicht das oft in vorauseilendem Gehorsam tat, was der Vater wollte.
Dass die Alkoholprobleme des George W. Bush weder durch seinen strengen Entzug noch durch seine Konversion zu den Methodisten geheilt waren, müssen nicht wenige in den USA gewusst haben.
Diese ungelösten Probleme waren mit verantwortlich für jenes rigide, kalte, auf Verständnislosigkeit basierende Weltbild, das die Menschen in Gut und Böse unterteilt; sie haben zur Achse des Bösen geführt, zur Verunglimpfung von Menschen und zu einer rigiden Politik, wie sie auch Bushs Verteidigungsminister Rumsfield zelebrierte.
Es ist für mich das größte Verdienst Gerhard Schröders, dass er auf all das nicht hereinfiel und sich nicht in die Achse der "Guten", in die Koalition der Willigen einbinden ließ.

Auch wenn jene Zustände, von denen wir oben sprachen, nur zeitweilig die seelische Realität der Betroffenen regieren, bleibt doch die Frage offen:

Wie viele Minderjährige haben weltweit das Sagen?

Dienstag, 22. Dezember 2009

Weihnachten ist innere Zeit und unser innerer Raum - wenn wir ihn betreten.


Weihnachten ist eine Zeit. Eine historische und eine aktuelle.
Vor allem aber ist Weihnachten ein Raum:
Ein Raum in uns.
Wer nach Weihnachten will, muss diesen Raum betreten.
Er liegt nicht im Nirgendwo.
Nach innen geht der Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, weiß Novalis in seinen Blütenstaub-Fragmenten. Damit bestätigt er nur, was auch Goethe sieht - Im Innern ist ein Universum auch - und Angelus Silesius so formuliert:
Halt an, wo laufst du hin, der Himmel ist in dir: / Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.
Dieser gesuchte Ort ist der Ort der Erinnerung, deshalb dieses Wort: Er-inne-rung.
Wer diesen Weg der Erinnerung nicht geht, bleibt immer außen vor der eigenen Türe. Davon erzählt die Türhüterlegende Franz Kafkas auf selten eindrucksvolle Weise. Kafka, der sein Werk per testamentarischer Bestimmung weitgehend vernichtet sehen wollte, hat diese Erzählung geliebt - das heißt bei einem, der sich selbst am kritischsten gegenüberstand sehr viel - und er hat sie sehr gern seinen Freunden vorgelesen. Nicht zufällig ist sie das inhaltliche Zentrum seines Romans Der Prozess, dessen Titel so bezeichnend ist, denn wir entscheiden wie Josef K. im Roman selbst, ob uns der Prozess gemacht wird oder ob wir unser Leben als Prozess gestalten. Dieser Prozess ist unser Weg nach innen, ins eigene Innere.
Deshalb auch war den Griechen die Muse Mnemosyne so wichtig. Diese Muse, eine von sieben - übersetzt bedeutet sieErinnerung - weist darauf hin, dass es ohne diesen Weg keine menschliche Kultur gibt, auch keine Kultur des eigenen Inneren - schlimmer noch:
Wer ihn nicht geht, ist, wie wir gleich sehen werden, kinderlos. Er verliert die Freude am Kind, ja: Er verliert die Freude am eigenen Sein; das ist identisch. Denn diese Freude findet er nur in sich und für diese Freude gibt es ein wunderschönes Bild, das äußere Realität war und innere Realtität ist: Es ist das Kind in der Krippe.
Damals wie heute, außen und innen: Realität.
Von inneren Hirten und inneren Königen
Diese Realität hat so viel mit uns zu tun, wie wir sie zulassen.
Das Geschehen in der Bibel ist immer auf vielfachen Ebenen symbolisch. Das betrifft auch die Weihnachtsgeschichte. Denn alles, was hier vorkommt, sind Gestalten unserer Seele:
Wir benötigen die Fähigkeit zu staunen und andächtig zu sein wie die Hirten, um des Kindes gewahr zu werden. Hirten können den Mund halten, stille sein, staunen.
Staunen ist die Grundvoraussetzung für das Wahrnehmen des Göttlichen.
Wir benötigen den Respekt und die Wert-Schätzung der Könige, die eben auch Könige unseres inneren Reiches sind; sie bringen Geschenke.
In gewohnter Manier rafft der moderne Mensch alles zusammen, was er bekommen kann; er will immer haben, haben, haben. Es ist, als ob er immer einatmen will, nie ausatmen.
Das geht nicht; daran stirbt man.
Zumindest seelisch.
Aber die Kraft des Göttlichen wird in uns zu innerer Wirklichkeit durch den Dank, den wir ihm entgegenbringen, durch unser Geben, unser Ausatmen. Das wissen die Magier wohl, die Weisen des Morgenlandes: Ohne sie gibt es für unsere Seele kein Weihnachten, wie es uns die Bibel vor Augen stellt. Die Energie des Göttlichen verwirklicht sich durch das, was wir ihm bringen. Es ist das Wertvollste, was es gibt: unser Gold, unseren Weihrauch und unsere Myrrhe.
Wer glaubt, er muss nur das Maul aufsperren und das Göttliche träufelt Nektar hinein, hat sich getäuscht. Die Heiligen Drei Könige zeigen uns: So ist es nicht. Zeig Du dem Göttlichen, dass Du es wertschätzt.
Märchengestalten sind Wirklichkeit pur
Und wir benötigen - auch dies lehrt uns die Weihnachtsgeschichte - Vater und Mutter. Vater und Mutter oder der gute König und die gute Königin manifestieren in vielen Märchen - in jener Zauberzeit des Es war einmal - jenen Urzustand unseres Seins; auch er ist ein Bewusstseinszustand. Der Tod oder Krankheit beider Elterngestalten oder eines von beiden symbolisiert im Märchen den Verlust dieses ursprünglichen Bewusstseins; der Märchenheld geht auf die Reise, oft, um diesen alten Bewusstseinszustand wieder herzustellen. Was er aber finden wird, ist ein neues Glück.
Auf dieser Reise sind wir alle.
Deshalb ist es von Bedeutung, dass es einen Vater und eine Mutter gibt - und wenn es sie nicht gibt, dann ist es wichtig, dass uns dieses Fehlen bewusst wird. Dann kann Mythisches an deren Stelle treten. Mythisches heilt. Deshalb sind Märchen so heilsam.
Probiere es aus, wenn Du verzweifelt bist: Lies eines der großen Grimm-Märchen. Mehr nicht. Lies einfach. Wie ein Kind.
Du wirst staunen.
Herodes lebt
Der historische Herodes ließ nach dem Matthäusevangelium alle zweijährigen und jüngeren Kinder in Bethlehem und an seinen Grenzen umbringen. So ist die Energie des Herodes zum schrecklichen Symbol für die Ausrottung des Kindlichen geworden.
Aktuell sind die Herodeskräfte so stark wie selten zuvor; kein Zufall, dass die Freude an Kindern und die Zahl der geborenen Kinder seit vielen Jahren abnimmt. Es ist die Folge dieser Kräfte; sie äußern sich in kinderunfreundlichen politischen Konstellationen und in fehlender innerer Freude der Menschen an Kindern und am Kindsein. Beide Tatbestände werden oft als Ursache hingestellt; das sind sie nicht. Sie sind Auswirkungen eines Verlustes; auch die Macht des Herodes ist eine Folge des Verlustes eines ursprünglichen Bewusstseins.
So rot wie Blut, so weiß wie Schnee
Das Sehnen von menschen,d ie sich lieben, nach einem Kind, so rot wie Blut, so weiß wei Schnee, ist unstillbar. Auf Dauer wird es nicht auszurotten sein.
Immer ist dieses Kindsein, von dem wir gerade sprachen, mit dem eigenen Inneren verbunden.
Wir kennen Menschen, in denen ihre inneren Kinder leben - unser inneres Kind hat viele seelische Gestaltungen -; desgleichen kennen wir Menschen, die wie tot sind und wir leiden als Eltern mit unseren Kindern unter manchem Lehrer, der in Wahrheit Kinder nicht versteht, weil seine inneren nicht leben.
Die Schergen des Herodes
In solchen Menschen leistet Herodes noch heute ganze Arbeit und in der Gesellschaft grassieren seine Schergen in den unterschiedlichsten Gestalten, verkappt auch als Einstellungen. Eine davon ist, die innere Realität der Seele nicht im Außen wahrnehmen zu wollen, zu können.
Die Schergen des Herodes zerschlagen jedes Symbol und alle heiligen Gestalten, im Außen genauso wie im Inneren.
Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis
Vielleicht ist es der bedeutendste Satz dieser Jahrtausendgestalt Goethe, den wir am Ende seines Faust, einem Werk, an dem er annähernd 60 Jahre gearbeitet hat, finden.
Wer die Gleichnishaftigkeit des Lebens nicht wahrnimmt, wer nicht wahrnimmt, dass es einen Vater im Außen wie im Innen gibt, eine Mutter, ein Kind, Hirten und Könige, ist auf einem Auge blind. Mit einem verbleibenden Auge aber kann man nicht räumlich sehen; man findet den Raum Weihnachten nicht.
Das Allerheiligste
Die Intuition von Kindern lässt sich diesen Raum nicht nehmen. Und in dem Leuchten ihrer Augen nehmen wir wieder teil an dem, was vielen von uns im Lebenskampf verloren gegangen ist: dieses Vertrauen in jenes Kind, das da in Bethlehem geboren wurde
Nichts weniger ist es als das Allerheiligste unseres Innern. Von hier aus werden wir wirklich berührt.
Um den Cherubinischen Wandersmann des Angelus Silesius sprechen zu lassen:
Wird Christus tausendmal in Bethlehem geborn / und nicht in dir; du bleibst noch ewiglich verlorn.

Ich wünsche allen meinen Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Diesen Post habe ich ebenfalls auf FreieWelt.net veröffentlicht

Samstag, 19. Dezember 2009

Beim Wort genommen ... so schön kann Schule sein, so menschlich ...



Eine kleine Geschichte aus dem Schulalltag:

Spaßeshalber hatte ich die Tatsache, dass ich keine Hausaufgabe aufgebe, mit der Frage verbunden:
Was krieg ich, wenn ihr keine Hausaufgabe bekommt?
Die Antwort: Ein Überraschungsei.

Kleiner Einschub:
Wir hatten zu Beginn des Unterrichts uns köstlich darüber amüsiert, dass einer in der Klasse seiner Schwester zum Geburtstag ein 68-Cent-Überraschungs-Glücksei schenkt (was für ein opulentes Geschenk ...) ...
Als ich in der nächsten Stunde die Klasse betrat, spürte ich schon, dass etwas in der Luft lag (als Lehrer vermutet man dann am ehesten den berühmten Wassereimer über der Eingangstür oder auf der Tafel, der niederdonnert, wenn man sie öffnet.
Aber so war es nicht, ganz im Gegenteil, wie die Handy-Bilder beweisen, die ich eben gerade per Mail von Katja erhielt :-))

Natürlich schlägt dann gleich das Beamtengewissen ... Darf ich das annehmen ...
Aber welcher Lehrer ginge für solch liebes Geschenk einer 7d nicht gern vorzeitig in Pension :-))


PS: Auf den Zetteln steht übrigens Josef, Jesus, Maria.

Samstag, 5. Dezember 2009

Santa Claus: Eine Geschichte Für Kleine und Große von Tilde Michels zu Nikolaus



Vielleicht sucht ja jemand eine für den Nikolaustag morgen, vielleicht auch für sich selbst :-) - hier eine Geschichte, die Große und Kleine gleichermaßen berührt ... ich hab´s mehrfach ausprobiert :-))
Gefunden hab ich sie kürzlich in Tilde Michels: Das alles ist Weihnachten; München 1981
Und so beginnt sie:

Diese Geschichte hat John Berry vor einigen Jahren in New York erlebt. Er schreibt sie hier auf, genauso wie sie sich zugetragen hat:

Es war wie verhext. Ich konnte einfach keine Arbeit finden. Von Beruf bin ich Installateur, aber ich hätte auch jede andere Stelle angenommen; als Koch oder Ausfahrer oder sonst was.
Drei Monate war ich schon arbeitslos. Ich wohnte in einer kalten verwahrlosten Bude. Wenn ich mich aufwärmen wollte, ging ich in eine Kneipe.
Das war Anfang Dezember. Immer um diese Zeit sind die breiten Prachtstraßen von New York mit bunten Lichterketten überspannt, und aus allen Schaufenstern der Innenstadt glänzt ein Weihnachtszauber von Glitzersternen, Elfen, Zwergen und Spielzeugstädten. Auf dem Platz im Rockefeller Center steht der größte Weihnachtsbaum der Welt. Er ist so hoch wie ein Haus mit zehn Stockwerken, und unter diesem riesigen Weihnachtsbaum gibt es in jedem Jahr eine Schlittschuhbahn.
Aber damals interessierte mich das alles nicht. Ich hatte kein Geld, ich war hungrig und durchgefroren, und ich suchte Arbeit, Jeder Job war mir recht.
So kam es, dass ich Weihnachtsmann in einem großen Warenhaus wurde.

Vor Weihnachten hat jedes Kaufhaus seinen eigenen Weihnachtsmann; in Amerika heißt er Santa Claus. Zu dem gehen die Kinder und flüstern ihm zu, was sie sich wünschen. Der Kaufhaus-Santa-Claus schreibt ihre Namen und Wünsche auf. Später holen sich die Mütter die Wunschzettel ab. Und weil das von den Kaufhausleuten so praktisch eingerichtet ist, kaufen sie auch gleich alles an Ort und Stelle.
Als Santa Claus also saß ich auf einem Weihnachtsthron in der Spielzeugabteilung. Auf alt und würdig geschminkt, mit angeklebtem weißen Bart, rotem Umhang und roter Zipfelmütze. Meiner Stimme gab ich einen tiefen und vollen Klang.
Vor mir standen die Kinder in einer langen Schlange und warteten, bis sie an der Reihe waren.
Die Kleinen glaubten, ich sei der echte Weihnachtsmann; die Größeren natürlich nicht. Die kamen oft nur, um mich zu ärgern. Sie zerrten an meinem Bart, rissen mir die Mütze herunter und flüsterten mir statt ihrer Weihnachtswünsche Schimpfworte ins Ohr.
Scharen von Kindern kamen jeden Tag. Ich habe längst vergessen, was sie sich alles wünschten und wie sie aussahen — nur Paco habe ich nicht vergessen. Sein braunes Gesicht mit den dunklen Augen sehe ich noch genau vor mir.

Eines Abends stand er da. Nicht gläubig wie die Kleinen, nicht übermütig wie die Größeren. Ganz ernst blickte er mich an. Seine Hände hielt er geballt in den Taschen. Er nannte mir seinen Namen und die Straße, in der er wohnte. Sie lag im Norden der Stadt in einem elenden Viertel, wo nur die ärmsten Farbigen leben.
»Mister Santa«, sagte er mit einer rauen Stimme in holprigem Englisch. »Ich brauche Schlittschuh.«
»Schlittschuhe?« fragte ich.
»Ja, Schlittschuh«, wiederholte er. »Größe 6. Direkt am Stiefel festgemacht, verstehst du?«
Ich antwortete nicht gleich.
Paco senkte den Kopf. »Meine Mutter sagt, sie kann die Schlittschuh nicht kaufen. Aber du, Mister Santa... vielleicht kannst du...«
Die anderen Kinder drängten vor. Sie wollten endlich drankommen und schubsten Paco weg. Er wehrte sich nicht.
Auf dem Nachhauseweg kam ich an der Eisbahn unter dem riesigen Weihnachtsbaum vorbei.

Dort sah ich Paco wieder. Seine dunklen Augen folgten den Kurven und Kreisen der Schlittschuhläufer auf dem hell erleuchteten Eis. Die Musik aus den Lautsprechern dröhnte über den Platz.
Es war kalt, und Paco hatte nur einen dünnen Pullover an. Aber er stand unbeweglich und schaute auf die glitzernde Eisfläche.
Als er zum zweiten Mal ins Warenhaus kam, fragte ich ihn: »Paco, warum brauchst du eigentlich Schlittschuhe? Es gibt doch viel nützlichere Sachen.«
Da warf er die Arme in die Luft und sagte: »Mister Santa, Schlittschuhlaufen, das ist...« Er suchte nach Worten und sagte dann nur »das ist schön.«
Er fuchtelte mit seiner kleinen Faust vor meinem Bart herum. »Ich muss Schlittschuh haben, verstehst du? Ich will Bögen machen auf dem Eis, verstehst du?«
Ich sah, dass der Abteilungsleiter uns beobachtete. Er merkte natürlich, dass Paco allein war, dass niemand etwas für ihn kaufen würde. Und ohne lange zu überlegen, flüsterte ich Paco zu: »Komm morgen wieder, Paco. Morgen ist Heiliger Abend, da ist alles möglich ... vielleicht sogar ein Wunder.«
Der Abteilungsleiter trat heran und sagte höflich aber mit deutlichem Tadel: »Santa Claus, da sind noch andere liebe Kinder, die warten.«
Paco ging ohne ein Wort weg.
Am Vormittag des Heiligen Abends — es war mein letzter Tag als Santa Claus — kaufte ich ein paar Schlittschuhe mit Stiefeln Größe 6. Sie kosteten eine Menge Geld. Fast die Hälfte meines Wochenlohns als Weihnachtsmann. Und da fiel mir noch dazu ein, dass es mit den Schlittschuhen nicht genug war, dass Paco auch Eintrittsgeld für die Eisbahn brauchte. Er hatte bestimmt keinen Cent.
Wohl oder übel musste ich ihm noch ein paar Dollar extra in die Stiefel stecken. Ich tat es nicht gern, und ich ärgerte mich dabei über mich selbst. »Total übergeschnappt«, dachte ich. »Die Hälfte eines Wochenlohns für einen fremden Jungen. Wohltätigkeitsfimmel! Weihnachtsmann spielen!«
Trotzdem wartete ich ungeduldig auf Paco.

Aber Paco kam nicht.
Die letzten Kinder waren abgezogen. Das Kaufhaus schloss seine Tore.
Ich legte die Santa-Claus-Verkleidung ab und zog meine eigene Jacke über. Dann ging ich hinaus auf den Platz mit dem großen Weihnachtsbaum. In der Hand trug ich die Tüte mit den Schlittschuhen.
Von der Eisbahn schallte die Musik herüber.
Langsam überquerte ich den Platz. Dann aber begann ich zu laufen, weil ich plötzlich fürchtete, zu spät zu kommen. Ich drängte mich nach vorn an die Eisfläche und suchte die Zuschauerreihen ab ... und da entdeckte ich Paco. In seinem dünnen Pullover stand er wieder dort und starrte auf die Schlittschuhläufer. Die Fäuste hielt er vor den Mund gepresst.
»Guten Abend, Paco«, sagte ich.
Paco blickte zu mir auf. Er erkannte mich nicht. »Wer sind Sie, Mister?«
»Ich komme von Santa Claus«, sagte ich. »Ich mache manchmal Besorgungen für ihn. Er hat auf dich gewartet. Warum bist du nicht gekommen?«
Paco schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat gesagt, es gibt keine Wunder. Für uns nicht.«
Da reichte ich ihm die Tüte mit den Schlittschuhen. »Von Santa Claus«, sagte ich.
Mit offenem Mund schaute Paco in die Tüte. Es dauerte lange bis er begriff, dass die Schlittschuhe ihm gehören sollten.
»Von Santa?« fragte er leise. »Wirklich?«
Er deutete mit dem Kopf hinüber zum Kaufhaus. »Wartet er noch?«
»Es ist schon geschlossen«, sagte ich. »Santa Claus ist fort. — Aber wenn du willst, kann ich ihm sagen, dass du dich freust.«
Paco nickte. Er drückte die Schlittschuhe an sich. Und dann lachte er. Seine kleinen weißen Zähne blitzten aus dem dunklen Gesicht. Alles an ihm leuchtete.
»Jetzt probier ich's«, sagte er.
Dann rannte er zur Schlittschuhbahn.
Nach ein paar vorsichtigen Bögen auf dem Eis drehte er sich noch einmal zu mir um. Er wedelte mit den Armen und schrie: »Ich kann's! Sagen Sie's ihm! Sagen Sie Santa Claus, dass ich's kann! Und — fröhliche Weihnachten, Mister!«
»Fröhliche Weihnachten, Paco«, rief ich zurück.


Dienstag, 1. Dezember 2009

ERZIEHUNG zur STILLE, zum SCHWEIGEN begann schon sehr früh ...





Erziehung zur Stille, zum Schweigen begann schon sehr früh. Wir lehrten unsere Kinder, still zu sitzen und Freude daran zu haben.

Wir lehrten sie, ihre Sinne zu gebrauchen, die verschiedenen Gerüche aufzunehmen, zu schauen, wenn es allem Anschein nichts zu sehen gab, und aufmerksam zu horchen, wenn alles ganz ruhig schien. Ein Kind, das nicht stillsitzen kann, ist in seiner Entwicklung zurückgeblieben.

Übertriebenes, auffälliges Benehmen lehnten wir ab, und ein Mensch, der pausenlos redete, galt als ungesittet und gedankenlos. Ein Gespräch wurde nie übereilt begonnen und hastig geführt. Niemand stellte vorschnell eine Frage, mochte sie auch noch so wichtig sein, und niemand wurde zu einer Antwort gezwungen. Die wahrhaft höfliche Art und Weise, ein Gespräch zu beginnen, war eine Zeit gemeinsamen stillen Nachdenkens; und auch während des Gespräches achteten wir jede Pause, in der der Partner überlegte und nachdachte. Für die Dakota war das Schweigen bedeutungsvoll. In Unglück und Leid, wenn Krankheit und Tod unser Leben überschatteten, war Schweigen ein Zeichen von Ehrfurcht und Respekt, ebenso, wenn uns Großes und Bewundernswertes in seinen Bann schlug. Für die Dakota war das Schweigen von größerer Kraft als das Wort.


Luther Standing Bear

Luther Standing Bear (1868-1939) hatte das Erziehungs- und Schulsystem der weißen Amerikaner am eigenen Leib erfahren müssen. Indianerkinder, die ihre eigene Sprache verwendeten, wurden hart betraft. Standing Bear betonte in seinen Schriften - dieser Auszug entstammt seinem Buch Land of the Spotted Eagle - die Freundlichkeit seines Volkes Kindern gegenüber. Er war überzeugt, dass nicht nur die Indianer von den Weißen, sondern auch die Weißen von den Indianern lernen können. Die weißen Amerikaner, die die indianische Kultur ablehnen und ihr verständnislos gegenüberstehen, "berauben sich selbst", meine er.

aus Weißt Du das die Bäume reden. Weisheit der Indianer. Wien 1985